Gesichter der Nacht
so«, sagte sie. Schweigen trat ein.
Und dann fragte Jenny: »Hugh, was sollen wir machen?«
Er gab einen brummenden Laut von sich und
küßte sie auf die Schulter. »Keine Ahnung«,
erwiderte er. »Ich werde wohl bald von hier weggehen.«
Sie erstarrte und sagte kühl: »Aha.«
Wieder Schweigen. »Ich glaube, mein Onkel hat heute nachmittag
bei euch vorbeigeschaut?«
Marlowe richtete sich auf und griff nach einer
Zigarette. »Richtig. Er hatte einen Herzanfall. Ich dachte schon,
er kratzt uns ab.«
Sie spielte nervös mit dem Kragen
ihres Kleids. »Ja, diese Anfälle hat er ziemlich oft.«
Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Ich weiß zufällig,
daß er nur noch sechs Monate zu leben hat –
bestenfalls.«
Marlowe führte gerade sein Glas zum Mund. Jetzt
hielt er inne. »Interessant«, sagte er. »Dann
können die Magellans ja wieder hoffen.«
Jenny sprang ärgerlich auf. »Oh, hol' doch
der Teufel die Magellans! Kannst du an nichts anderes denken?«
Sie ging unruhig hin und her. Dann drehte sie sich um und blickte
Marlowe in die Augen. »Ich will es dir in aller Kürze
erklären. Mein Onkel stirbt bald. Vielleicht heute, vielleicht
morgen, aber bestimmt im Laufe des nächsten halben Jahres. Und ich
bin seine Universalerbin.«
Marlowe nahm einen Schluck von seinem Whisky Soda. »Ja – und?«
»Kapierst du das nicht?« fragte sie.
»Wenn du die Magellans zum Verkauf überreden kannst und wir
alles wieder ins Lot gebracht haben, dann heißt's nur noch
warten.«
»Worauf?« sagte Marlowe sanft.
Jenny seufzte ungeduldig. »Auf den Tod meines
Onkels. Dann gehört mir das Geschäft, und du kannst es
für mich führen. Verstehst du nicht, Liebling? Dann haben wir
für den Rest unseres Lebens ausgesorgt.«
Marlowe drückte seine Zigarette aus und erhob sich. »Du meinst, dann hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt.« Er ging an ihr vorbei, trat auf den Flur.
Sie rannte ihm nach, packte ihn bei der Schulter, als
er die Wohnungstür aufschloß. »Was ist?« fragte
sie. »Was hast du vor?«
Er schüttelte sie ab und öffnete die
Tür. »Ich gehe«, sagte er. »Du hast keinen
Besitzanspruch auf mich.«
Sie starrte ihn wie betäubt an und schüttelte den Kopf. »Ich begreife nicht.«
»Ich könnte es mit Worten
sagen, die alles andere als stubenrein sind«, erklärte
Marlowe, »aber selbst ich habe ein Niveau, unter das ich nicht
gehe.« Sie blickte immer noch verwirrt drein, und er seufzte.
»Formulieren wir es so, mein Engel. Ich bin schon allen
möglichen Konsorten begegnet, aber du – du schießt den
Vogel ab.« Er schüttelte den Kopf. »Du weißt
nicht mal, wovon ich rede, oder? Nein, das wissen Leute wie du
nie.«
Einen Moment lang starrte sie ihn weiter wie
betäubt und nichts begreifend an, und dann flammte lichterloher
Zorn in ihren Augen. Sie ohrfeigte ihn. »Raus!« schrie sie.
»Los! Raus mit dir!«
Er packte sie bei den Handgelenken und zog sie in
blinder Wut zu sich. Sie funkelte ihn an. Dann spuckte sie ihn an. Und
dann sagte sie: »Du alter Hurenbock.«
Er schaute sie verblüfft an, ließ sie los
und brach in schallendes Gelächter aus. Als er über den Hof
ging und durch die dunkle Passage auf die Straße trat, lachte er
immer noch.
Er fuhr nach Litton zurück, das Fenster
heruntergekurbelt, und irgendwie schien der kalte Wind eine reinigende
Wirkung zu haben. Wenn er an Jenny O'Connor dachte, dann mit Mitleid.
Schließlich mußte sie mit sich leben. Und das war wohl die
schlimmste aller Strafen. Er verbannte sie aus seinen Gedanken und
konzentrierte sich auf seine Zukunft.
Sich nach Irland abzusetzen, schien ihm immer noch
eine gute Idee. Als er auf den Hof fuhr, beschloß er, die Dinge
sofort in Gang zu bringen.
Er parkte vor der Tür und trat ins Haus, als er
in der Diele war, hörte er, daß im Wohnzimmer jemand weinte.
Er schaute hinein und sah Maria, die zusammengesunken in einem Sessel
saß und herzzerreißend schluchzte.
»Was ist, mein Engel?« fragte er und ließ sich neben ihr auf ein Knie nieder.
Sie hob das
tränenüberströmte Gesicht und sagte erbittert:
»Geh weg. Ich kann noch ihr Parfüm an dir riechen.«
Er sprang erbost auf. »Nun sag mir doch, was ist, verdammt noch mal!«
»Papa ist mit dem anderen Lastwagen losgefahren«, antwortete sie.
Marlowe runzelte die Stirn. »Der spinnt. Er ist doch krank.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Mac
hat vor einer Stunde angerufen. Er
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