Gesichter im Nebel (German Edition)
wie das bereits Geschilderte.“
Paddy machte eine Pause.
Er zweifelte keinen Augenblick mehr an der Richtigkeit der Worte. War es nicht so, dass auch heute noch kein Ire in ein Haus einziehen will, in dem eine Bluttat begangen wurde? Es herrschte geradezu der Volksglaube, dass der böse Geist der Tat noch in den Mauern nistet und im Falle eines Einzugs auch auf ihn selbst übergreift. Immerhin dürfte kaum ein Tag vergehen, an dem der neue Mieter oder Käufer nicht an das schreckliche Verbrechen erinnert würde. Das allein war schon eine Belastung, war wie ein Fluch.
So ähnlich stellte es sich Paddy nun auf der Insel vor. All die Seelen von Opfern vergangener Missetaten und von durch Unglücke Verstorbenen hausten irgendwo in den Felsen, die Ertrunkenen vielleicht unter dem Tang, fanden keine Ruhe und begegneten in der Anderswelt sogar erneut den Tätern.
Es schüttelte ihn bei dem Gedanken.
Erst jetzt bemerkte er, dass es schon Vormittag wurde. Er pustete die Lampe aus und ging nach draußen. Er musste noch die über Nacht eingesperrten Hühner rauslassen.
Mit großer Scheu blickte er zu der Steinplatte, die nun mehr als zweihundert Jahre am selben Fleck lag und inzwischen von Moos überwuchert war. Und es kam ihn geradezu ein Grausen an. Da lag, wenn ihn nicht mittlerweile einer gehoben hatte, ein großer, durch Mord und Raub zusammengeraffter Reichtum, den er allerdings, wie sein Urahn auch, nicht an sich nehmen konnte. Denn vielleicht lastete noch immer dieser Fluch auf dem Blutgold und den wollte er nun, bei Gott und all seinen Heiligen, nicht auf sich ziehen, so sehr ihn auch der damit verbundene Wohlstand reizte.
Schnell zog er an einem Seil die Klappe des Hühnerverschlags hoch. Das Federvieh lugte vorsichtig aus dem Spalt, dann flatterten und gackerten die Vögel befreit auf dem Hof umher und begannen damit, die noch vom Vortag übrig gebliebenen Körner aufzupicken.
Schon jetzt bemerkte er die Veränderungen, die seit der Lektüre der alten Kladde in ihm vorgingen. Er witterte überall Gespenster. Würde er jemandem begegnen, so müsste er wohl sehr genau hinhören, was dieser Mensch äußerte. Waren es nun dessen eigene Worte? Oder steckten da nicht vielleicht schon Eingebungen aus der Schattenwelt dahinter? Und wie war es mit ihm selbst?
Nein, er war wirklich nicht mehr der meist unbeschwerte Naturbursche Paddy O’Donohogue, der er einmal gewesen war. Ihm war jede Unschuld genommen. Er fühlte dieses neue Bewusstsein wie eine schwere Last auf seinen Schultern. Wie sollte das nur weitergehen, wie würde das alles enden?
Ein Alptraum hat sich seiner bemächtigt und er konnte nichts dagegen tun.
Hatten diese vermaledeiten Geistwesen vielleicht auch bei seiner bislang einzigen „Liebesaffäre“ ihre Hand im Spiel? Da war vor Jahren eine junge Frau, die Nichte einer Nachbarin, zu Besuch auf die Insel gekommen. Natürlich hatte er sich sofort in sie verliebt. Sie hieß Mildred. Es schien ihm, dass auch er ihr nicht ganz unsympathisch war. Während eines gemeinsamen Spaziergangs zeigte er ihr deswegen den alten Schwörstein und erklärte ihr die Bedeutung dieses Monuments. Seltsamerweise zog sie sich danach von ihm zurück. Anscheinend war die Dame aus London von seinem Ernst in dieser Stunde so gar nicht angetan, hielt ihn womöglich für einen rückständigen, abergläubischen Kerl, der nicht in ihre nüchterne, aufgeklärte Welt passte.
Immerhin war er schließlich der legitime Nachkomme des einzigen Menschen, der je mit den Schatten in Kontakt stand. Das gab ihm nun wirklich erst recht zu denken.
Nach seiner bescheidenen, in den vielen einsamen Stunden, die er mit seinem Boot auf dem Meer verbrachte, hausgezimmerten Lebensphilosophie fragte wahre Liebe ohnehin nicht nach Stand, Religion oder Rasse. Würde er sich in eine Muslimin verknallen, so hätte er eben auch zu respektieren, dass sie einmal im Leben nach Mekka pilgern wollte. Denn das sollte bei Muslimen so üblich sein – und wo lag schon der Unterschied? Einige Leute auf seiner Insel wünschten nichts sehnlicher, als einmal nach Rom oder dieses französische Lourdes zu wallfahrten. Aber zu solcher Toleranz war Mildred anscheinend nicht fähig.
Nun denn, dann war es auch gut so, dass sie ihm – ob mit oder ohne Geister – einen Korb gab, es war eben keine wirkliche Liebe gewesen und damit basta. Er hatte gelitten und das Thema Frauen war bei ihm vorerst erledigt. Es würde sich auch so schnell keine Gelegenheit ähnlicher Art
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