Gesichter im Nebel (German Edition)
Vorfreude die Hände.
Als besonders ärgerlich empfand er, dass ihm nun auch „Cotter’s“ heimelige Gaststube verschlossen war. Sicher würden alle diese Inselkerle dort inzwischen über seine Niederlage Bescheid wissen. Nein, das konnte er seinem gekränkten Ego nicht antun. So ließ er seine französischen Freunde abends alleine in den Pub ziehen. Die wunderten sich nicht wenig über die plötzliche Enthaltsamkeit. Hatte er doch früher gerne mal ein paar Pints getrunken. Aber sie schoben es schließlich auf den Einfluss dieser Insel, dass Jean-Pierre vielleicht nun, angespornt von dem gesunden, einfachen Leben hier, auf den abendlichen Alkohol verzichtete.
„Unser Asket“, sagten sie manchmal, wenn sie unter sich waren, „hätten wir ihm gar nicht zugetraut.“
Auch Paddy war es lieber, wenn er den Kerl nicht vor die Augen bekam. Sonst wäre ihm vermutlich wieder die Galle hochgekocht. Gottseidank waren diese Franzosen nur Feriengäste, ihre baldige Abreise also gewiss. Damit beruhigte er sich.
Umso lieber traf er Brighid, wenn sie sich auf einem ihrer Spaziergänge befand. Und die führten öfters an seinem Haus vorbei, denn Brighid besuchte fast täglich die Familie des Ledermachers, trank mit Cathleen Tee oder plauderte mit den Kindern. Deren herzerfrischende Art und ihre blühende Fantasie erfrischten sie geradezu. Immer wieder wollten sie irgendwelche Wesen aus einer anderen Welt erblickt haben und wurden nicht müde zu beteuern, dass dies keine Einbildungen waren.
Schon wenige Tage nach ihrer Begegnung mit Jean-Pierre führte Paddy die junge Frau auf deren Bitte hin zu dem Schwurstein. Sie hatte ihre Kamera dabei und wollte endlich die Bilder für ihren Vater schießen. Sie hatte es ihm schließlich hoch und heilig versprochen. Doch alleine traute sie sich nicht. Die Angst vor diesem Scheißkerl saß ihr immer noch im Nacken. In der Einsamkeit der Hügel hätte es leicht zu einer neuen Attacke kommen können.
„Weißt du, Paddy, es fasziniert mich, wenn ich daran denke, dass sich hier schon vor tausend Jahren junge Leute getroffen und auf diese einfache Art, vor den Göttern gewissermaßen, einen Treueid abgelegt haben. Das war vielleicht viel ernsthafter, als es eine heutige Trauung ist. Meinst du nicht auch?“
„Ja, gewiss doch“, antwortete er mit großem Ernst, „wir sind das nicht anders gewohnt und so etwas wie Scheidungen gibt es hier schon gar nicht.“ Und leicht melancholisch dachte er dabei an Mildred und seinen verunglückten Anlauf mit ihr.
Sie bemerkte den Stimmungswandel und fragte: „Aber du warst wohl aus diesem Grund noch nicht hier?“
„Ach nein“, gab er zurück, „es gibt zu wenig Frauen und zu viele Männer auf der Insel, weißt du. Und die sind meist schon von der Schulzeit einander versprochen. Da fiel für mich nichts ab.“
„Aber du bist doch ein attraktiver und ein starker Kerl!“
Das Kompliment erfüllte ihn mit Stolz. „Ich hatte auch nicht viel Zeit. Ich musste schon früh mit raus zum Fischen. Vater meinte, ein junger Bursche lernt sein Handwerk am besten von Kindsbeinen an. Ja, und das war dann auch so. So blieben mir nur die See und mein Boot. Und das ist auch schön, wenn du mich fragst.“
Sie bemerkte, dass sie ihm in aller Unschuld vielleicht zu nahe getreten war und wechselte schnell das Thema.
„Die Töchter von Neil erzählen immer, sie hätten hier oben Elfen oder so was gesehen. Sie haben mächtig viel Fantasie.“
„Ich weiß nicht, vielleicht sehen sie mehr als wir Erwachsenen. Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die uns verborgen bleiben.“
„Glaubst du vielleicht auch an so was wie die Anderswelt?“
Am liebsten hätte er ihr sein Geheimnis anvertraut. Aber sie hätte ihn vielleicht nur ausgelacht. Er schwieg lieber.
Sie bohrte nicht nach, sondern war jetzt mit ihrem Fotoapparat beschäftigt, ging um die beiden Steine herum, suchte den günstigsten Abstand und Aufnahmewinkel.
„Ich glaube, von hier aus kriege ich das am besten hin“, kommentierte sie ihre Bemühungen und schoss gleich eine ganze Serie Bilder.
In diesem Augenblick fühlte er es. Sie waren da, wehten um die heiligen Steine. Er erschauerte. Natürlich mussten sie hier sein, es war ein geheiligter Ort, nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die ruhelosen Seelen der Toten.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte sie unvermittelt, „Du siehst aus, als siehst du Gespenster!“
Er fühlte sich wie ein ertappter Schuljunge, lächelte etwas
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