Gespenster Kuesst Man Nicht
erreicht, was mir vorgeschwebt hatte – da taten wir eine gute Quelle auf, und ich schüttete sie zu. »Ich hab’s vermurkst«, gab ich schließlich zu.
Gilley grinste. »Ja, aber immerhin war’s unterhaltsam. Für mich jedenfalls.«
»Freut mich«, sagte ich trocken.
Gil kicherte in sich hinein. »Sprich, o tapferer Häuptling, wen sollen wir jetzt noch einschüchtern?«
Ich seufzte tief und dachte eingehend nach. »Ich denke, wir sollten uns noch einen Lehrer vornehmen.«
»Ja, mit der Taktik sind wir bisher gut gefahren.«
Ich ignorierte seine Sticheleien. »Evie hat sehr positiv von ihrem Biolehrer gesprochen. Vielleicht versuchen wir es mal bei einem jüngeren Lehrer statt bei solchen bärbeißigen alten Knackern.«
Bei der nächsten Gelegenheit fuhr Gil rechts ran und holte seinen Laptop aus dem Seitenfach. »Wie hieß der noch mal?«
»Vesnick oder so. Kein allzu häufiger Name.«
Zehn Minuten später hatte Gil einen Treffer. »Ich glaube, das ist er. Ray Vesnick, früher gemeldet in New York City. Laut Beschäftigungsnachweis ist er an der Royce High School in Brooklyn angestellt, aber seine aktuelle Adresse ist hier in Wheaton – erinnerst du dich?«, fragte er, als ich ihn ratlos anstarrte. »Das ist der Ort, wo unser Kellner im Lake View herkam.«
Ich nickte. »Ah ja. Ich wette, das ist unser Vesnick. Evie hat gesagt, er sei erst seit diesem Schuljahr hier. Wahrscheinlich ist der Beschäftigungsnachweis veraltet.«
»Definitiv möglich. Es dauert immer wahnsinnig lang, bis die aktualisiert werden. Deshalb darf man sich nie auf sie verlassen.«
»Sollen wir ihn mal besuchen und schauen, ob er der Richtige ist?«
»Wir können in zwanzig Minuten dort sein«, sagte Gil, steckte den Laptop weg und legte den Gang ein.
»Okay, dann los!«
Bei der Adresse angekommen, betrachtete ich skeptisch die Ladenzeile, über der Vesnicks Wohnung liegen musste. Wenn es in Lake Placid eine schäbige Gegend gab, hier war sie.
»Sehr anheimelnd«, meinte Gil sarkastisch.
»Sicher, dass die Adresse stimmt?«, fragte ich zum dritten Mal.
»Ja, M.J., bombensicher.«
»Na gut! Bringen wir’s hinter uns.« Wir stiegen aus und nahmen die mit Müll übersäte Straße in Augenschein. An der Ecke des großen Gebäudes, das fast den ganzen Block einnahm, war ein Laden für Partyartikel. Vesnicks Wohnung lag direkt über einem Tätowiershop, daneben war eine Kneipe. Als wir die Straße überquerten, musterten uns einige junge Kerle, die vor der Kneipe herumhingen. Ich bemerkte, dass Gilley sein Bestes tat, um hetero zu wirken. Sein Gang hatte den üblichen tänzelnden Schwung verloren. In jeder anderen Situation hätte ich laut losgelacht, aber hier und jetzt war ich froh, dass er sich bemühte, unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden.
An der Tür zu den Wohnungen in den oberen Stockwerken gab es vier Klingelschilder neben vergilbten, schmutzigen Klingelknöpfen. Gilley drückte auf den zweiten, neben dem in verblasster schwarzer Tinte R. V ESNICK stand. Nach kurzem Warten ertönte durch die Türsprechanlage eine verzerrte Männerstimme: »Ja?«
»Mr Vesnick?«, fragte Gilley.
»Ja.«
»Hi! Ich bin’s, Gilley Gillespie!«
»Wer?«
»Lieber Himmel! Erinnern Sie sich nicht an mich? Ich war in Royce bei Ihnen in Bio!«
Es kam keine Antwort. Gilley warf mir gerade einen entschuldigenden Blick zu, in dem zu lesen war: Tut mir leid, ich hab’s versucht] als wir beide zusammenschraken, weil der Türöffner summte. Ich packte den Türknauf, drückte auf, und wir eilten die Treppe hoch.
Oben auf dem Treppenabsatz stand ein Mann von Anfang dreißig mit Nickelbrille und langem sandfarbenem Haar, einem kräftigen Kinn und Adlernase. Er hatte etwas von einem liebenswerten Gelehrten. Mir war sofort klar, was Evie an ihm anziehend fand. »Hallo?«, begrüßte er uns fragend.
Wir winkten ihm beide zu und stiegen weiter hinauf. Da Gil diesmal unausgesprochen die Führung übernommen hatte und ich mit meiner Methode vorhin so baden gegangen war, ließ ich ihm bei der Begrüßung den Vortritt. Vesnick machte einen skeptischen Eindruck, als er Gil vor sich sah – der war eindeutig zu alt für einen ehemaligen Schüler.
Gil streckte die Hand aus. »Hallo, Mr Vesnick!«
Vesnick schüttelte ihm die Hand. »Hallo! Es tut mir sehr leid, aber ich glaube nicht, dass ich Sie kenne.«
Gilley lächelte freundlich. »Ich weiß. Ich muss mich entschuldigen: Das mit Royce war ein Trick, um mit Ihnen reden zu können. In Wirklichkeit
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