Gespenster um Al Wheeler
zweiten Nacht kam
Tino in mein Zimmer und stieg zu mir ins Bett. Zuerst war ich vor Angst wie
erstarrt — wegen des Erwischtwerdens , meine ich — ,
aber er fragte, um wen ich mir denn Sorgen mache; und als ich Crispin erwähnte,
lachte er nur. Ich schöpfte aus seiner Haltung Vertrauen, und bald redeten wir
mit normaler Stimme und lachten laut.
Dann kam Crispin in der
Absicht, seine jungfräuliche Schwester mit Gewalt zu retten, und traf sie sich
köstlich amüsierend an. Tino behandelte Crispin voller Verachtung und machte
sich einen Spaß daraus, ihn zu necken. Er sagte, Crispin täte besser daran,
sich an den Gedanken zu gewöhnen, denn dies wäre in der Zukunft ein permanentes
Arrangement. Tino grinste die ganze Zeit über, während er zusah, wie Crispin
sich wand. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Sache auf die Spitze
zu treiben — und so sagte er, Crispin möge nicht vergessen, daß, wenn er
heiratete und seine Frau mit heimbrächte, er, Tino, als sein neuer Bruder
dieselben ehemännlichen Rechte für sich beanspruche. Zu dieser Zeit erwog
Crispin ernsthaft, Jessica zu bitten, ihn unter der Voraussetzung einer langen
Verlobungszeit zu heiraten. Und es war die plötzliche Vision einer Zukunft voll
endlosen Schreckens, in der Tino von Tag zu Tag anmaßender und überheblicher
werden würde, die Crispin den Kopf verlieren ließ .«
Charity begann leise zu weinen. »Er
schien noch kaum das Zimmer verlassen zu haben, als er mit einer Axt in der
Hand zurückkehrte! O Gott — ich sah ihn dort stehen, seine Augen glühten wie
die eines Irren, und dann holte er mit der Axt aus, und ich sah Tinos Kopf
davonrollen !« Sie schluchzte einige Zeit unbeherrscht,
während ich sie zu trösten versuchte, ohne etwas damit zu erreichen. Dann
beruhigte sie sich allmählich und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich fiel in Ohnmacht«, sagte
sie mit gepreßter Stimme. »Als ich aufwachte, lag ich
in Vaters Zimmer, und die Tür war von außen verschlossen. Crispin mußte mich
dorthin getragen haben. Gegen neun Uhr morgens kam er ins Zimmer, noch immer
mit diesem irren Ausdruck im Gesicht, und sagte, wir teilten nun allein das
Geheimnis, auf welche Weise er die Familie von diesem Teufel erlöst habe — und
dann schwafelte er unaufhörlich weiter.
Während der Nacht hatte er
unglaubliche Arbeit geleistet. Alle meine Bettücher waren verbrannt worden. Er hatte den Boden geschrubbt, um die Blutflecken zu
entfernen. Nichts wies mehr darauf hin, daß Tino je existiert hatte. Crispin
erzählte mir, er wäre lange durchs Gestrüpp gegangen, um irgend
etwas loszuwerden, und mußte dann eine Bewußtseinsstörung gehabt haben, denn als er wieder bei Sinnen war, befand er sich kilometerweit
von dem letzten Ort entfernt, an den er sich erinnerte. Ich machte mir keine
Gedanken darüber, was es wohl gewesen war, das er, um es loszuwerden, so weit weggetragen hatte, bis ich Tinos Kopf in einer der
Zeitungen entdeckte .«
»Hat er dir je gesagt, was er
mit Tinos Rumpf gemacht hat ?«
»Ich habe ihn nie danach
gefragt .«
»Er ist sicher in der Gruft — sonst
wäre er irgendwo aufgetaucht. Crispin war in dieser Nacht bestimmt nicht bei
sich, weil er den Kopf nicht mit in die Gruft gelegt hat .« Die Vorstellung, wie ihr Bruder mit einem menschlichen Kopf im Sack durchs
Unterholz stapfte, konnte für Charity nicht angenehm
sein. »Was hat dein Vater gesagt, als er Tino nach seiner Rückkehr nicht mehr
vorfand ?«
»Nichts«, antwortete sie. »Ich
glaube, er wollte gar nichts wissen. Er hatte Angst vor dem, was er von seinen
eigenen Kindern als Antwort erhalten könnte. Nachdem Barnaby gestorben war,
verlor Vater jeden Lebenswillen, glaube ich .«
»Sollen wir nicht noch ein
bißchen weiter fahren und eine Tasse Kaffee oder einen Whisky trinken ?« schlug ich vor.
»Nein, danke, Al .«
»Die Beichte ist vorüber,
Baby«, sagte ich. »Hör zu und denk mal nach, wie wir es schaffen .«
Ich erzählte ihr von dem
Abkommen, das ich mit Gabriele und Duprez getroffen hatte, und daß sie die beiden Männer waren, die wir im Valley abholen
würden. Daß sie, Charity , ein Teil des Abkommens
bildete und daß sie, wie sie ja bereits wußte, sozusagen das Trojanische Pferd
bildete, um uns ins Haus gelangen zu lassen, ohne daß es einen Wirbel gab.
Charity starrte mich, als ich geendet
hatte, mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen an. »Nun laß uns einmal die
Möglichkeiten betrachten«, fuhr ich fort. »Crispin hat nicht die
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