Gespielin des Feuers: Roman (German Edition)
Sie ihren Club finden, werden Sie dank Ihrer Vergangenheit keinerlei Probleme haben.«
Nun ja, er konnte sich weder an den Lebensstil noch an die Szenesprache erinnern. Nicht, dass er das Zoko verraten würde. Er konnte es kaum erwarten, das Itor-Gelände auf der einsamen Insel zu verlassen, wo man ihn monatelang festgehalten hatte. Vor allem, seit es ihm gelungen war, Coco aufzuspüren, von der man ja verdammt noch mal nie wusste, wann sie wieder abhauen würde.
»Noch etwas«, sagte Zoko. »Unsere Modifikationen haben einen elektrischen Spannungsanstieg verursacht … Deshalb könnte Ulrika ein sanftes Surren oder einen kleinen Stromstoß in ihrem Halsband spüren. Das wird sie misstrauisch machen, und vielleicht läuft sie davon. Also seien Sie vorsichtig.«
An diesem Morgen hatte das Gespräch stattgefunden, und jetzt war er unterwegs nach London. Aber vorher würde er sich noch mit Coco unterhalten. Oder genauer ausgedrückt – er würde sie lange ausfragen, so ausführlich, dass sie das wohl veranlassen würde, ihn bei der Fahndung nach Ulrika zu begleiten. Am Flughafen wartete ein Auto, er kannte Cocos Adresse, und er würde sie notfalls aus ihrem Apartment entführen – zu solchen Maßnahmen war er bereit.
Denn er hatte die Schnauze voll von seinem Gedächtnisverlust. Klar, die von Itor hatten ihm alles über seine Vergangenheit erzählt, über seinen Dienst bei den U.S. Marines und wie er das Militär für seinen illegalen Waffenverkauf benutzt hatte. Als er aufgeflogen war, hatte Itor ihn gekidnappt. Seither gehörte er dieser Organisation an. Und was er angeblich für sie getan hatte … O ja, er war ein gefühlskalter Abschaum, obwohl er sich an nichts dergleichen erinnerte.
Aber das alles fühlte sich falsch an, und er musste herausfinden, warum. Irgendwie ahnte er, dass Coco den Schlüssel zu seiner dunklen Vergangenheit besaß, und sie musste diese obskure Tür aufsperren – obwohl er fürchtete, es wäre besser, wenn er sein früheres Leben für immer vergaß.
»WO WARST DU? LETZTE WOCHE solltest du dich doch bei mir melden.«
»Kehr bloß nicht den großen Bruder heraus, großer Bruder.« Meg schob die Brille über ihren Nasenrücken nach oben, bevor sie einen Schluck Caramel Macchiato nahm. Dann sah sie sich auf der Terrasse des Cafés in Frankfurt um, wo sie den letzten Monat verbracht hatte. »Offensichtlich geht’s mir gut.«
Am anderen Ende der Leitung seufzte Mose – oder ML, wie er sich neuerdings nannte. So oft hatte sie diesen tiefen Seufzer von ihm gehört, genau wie früher von ihrem Vater und ihrer Mutter.
»Dir geht es nie gut«, erwiderte er. »Glaubst du nicht, du warst lange genug auf der Flucht?«
»Für mich ist das keine Flucht.« Während sie antwortete, tippte sie den Code in ihren Laptop, der ihr den Zugang zu den Bankkonten einiger steinreicher Männer in Deutschland gewährte. Wenn sie auch nicht vorhatte, irgendwas an den Daten zu ändern – die Gewissheit, dass sie es könnte, befriedigte sie fast genauso wie das Koffein.
Warum sie es tat, hatte einen mysteriöseren Hintergrund als das Wie. Schon immer waren Zahlen ihr Ding gewesen und ihr so simpel erschienen wie das Atmen. Schon seit ihrer Kindheit. Nach der achten Klasse war sie von der Schule abgegangen, wie es der Tradition ihrer Amish-Sekte entsprach. Danach studierte sie Mathematik und Naturwissenschaften, so gut sie es vermochte, las Bücher und Zeitschriften, die andere Teenager bei den Amish für sie schmuggelten – Jugendliche, die gerade von ihrem Rumspringa kamen, der Zeit zwi schen dem Schulende und ihrem Eintritt in die Gemeinde als Erwachsene. In dieser Phase gestatteten die Eltern ihnen Freiheiten, die später nicht mehr geduldet wurden.
Bei diesen Studien konnte Meg auf die Hilfe ihres Bruders bauen. Mose hatte sich mit einer Gruppe älterer Jungs angefreundet, die auf ihren Geländemotorrädern durch das Land der Amish brausten. Nachts schlich er aus dem Haus, trieb sich mit ihnen herum und kam mit Geschenken für seine Schwester zurück. Unter anderem brachte er ihr einen Laptop.
Jede Nacht hing sie am einzigen funktionsfähigen Telefon im Haus – sonst allein für Notfälle da – und lernte die Welt außerhalb ihrer eigenen beengten Umgebung kennen.
Ihre früheste Erinnerung war die Sehnsucht nach Unabhängigkeit. So intensiv, dass ihre Zähne schmerzten …
Während Meg und Mose heranwuchsen, schienen sie sich nie richtig in die Gemeinde einzufügen. Manchmal starrten die Eltern
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