Gespielin des Feuers: Roman (German Edition)
sie an, als würden sie ihre Kinder für Außerirdische halten.
So hatten sie auch Mary behandelt, die Schwester der beiden, weshalb sie die Gemeinde verlassen hatte. Später folgten Meg und Mose diesem Beispiel, nachdem sie wie Mary geächtet worden waren.
Doch da gab es einen gewaltigen Unterschied – sie waren am Leben, doch Mary war seinerzeit an Krebs erkrankt. Die Eltern weigerten sich, ihr zu helfen. Nicht einmal ihre Anrufe nahmen sie entgegen.
Ein einziges Mal telefonierte Meg mit ihr – die Stimme am anderen Ende der Leitung war nur mehr ein schwaches Wispern. Dann nahm ihr die Mutter den Hörer aus der Hand und legte auf.
Kurz darauf sah Meg ihre Mutter weinen, und ihr junges Herz konnte nichts Richtiges an einem Glauben finden, der jemanden dazu zwang, sich so grausam zu verhalten.
»Warum gibt es in einer Überzeugung, die das Gute propagiert, so viel Böses?«, hatte sie ihren Bruder einmal gefragt, nachdem sie fünf Jahre lang allein gelebt hatten.
»Das gehört zum Glaubenssystem der Amish, Meg«, erklärte Mose. »Manche Menschen brauchen etwas, das ihnen Halt gibt.«
»Hasst du sie denn nicht mehr?«
»Jahrelang bildete ich mir ein, ich würde sie hassen. Aber – nun ja, jeder braucht irgendwas, an das er glaubt.«
Die ganze Zeit hatte sie nichts anderes getan, als sich den Eltern und ihrem alten Glauben zu widersetzen. Doch in diesen Tagen ging es ihr nur noch darum, dass sie ihre eigenen Fehler bereute.
Nach ihrem Rumspringa hatten Mose und Meg beschlossen, nicht zur nachfolgenden Taufe heimzukehren. Daraufhin wurden sie von ihrer Familie und der Gemeinde ausgestoßen. So schmerzlich die Trennung für beide auch war, sie hatten keine andere Möglichkeit gesehen.
Mose liebte seine Freundin, die in der Gemeinde blieb, obwohl er sein Bestes tat, um sie umzustimmen. Damit hatte sie ihm das Herz gebrochen.
Das wusste Meg. Noch immer brachte er es nicht fertig, einer Frau außer ihr zu vertrauen – noch immer fürchtete er, keine sonst würde ihr Wort halten.
Sechs Stunden lang hatten sie damals auf seine Liebste gewartet. Schließlich fuhren sie in dem klapprigen Auto, das er aus Schrott zusammengebaut hatte, nach Florida.
Hinter dem coolen Surfer-Stil Moses steckte ein ganzer Kerl wie aus Stahl, der stets beweisen musste, dass er gut genug war. Und der Beweis gelang ihm stets, so wie er es von Abe Goldman gelernt hatte, dem Mann, dem sie kurz nach ihrer Ankunft in Miami begegnet waren.
Abes Pfandleihgeschäft diente als Tarnung für Geldwäsche, die in den Hinterräumen des Ladens stattfand. Anfangs arbeiteten Meg und ihr Bruder nur vorne im Laden, doch später wurde Mose auch in die illegalen Geschäfte eingeweiht.
Als Abe starb, hinterließ er ihm die Pfandleihe – und damit auch die Geldwäscherei. Wie einen Sohn hatte er Mose geliebt und ihm alles Wissenswerte über dieses illegale Geschäft und andere nicht ganz astreine Aktivitäten beigebracht.
Zehn Jahre, nachdem Mose zusammen mit seiner Schwester das Elternhaus verlassen hatte, nannte er sich ML und avancierte zu einem der erfolgreichsten Geldwäscher an der Ostküste. Und es war äußerst schwierig, an ihn überhaupt heranzukommen. Meg wiederum hatte in der Zwischenzeit oft mit dem Geld anderer Leute gespielt – und damit letztlich auch mit deren Leben.
»Einige Typen haben sich an deine Fersen geheftet, Coco.« Nun redete Mose sie am Telefon mit ihrem Rufnamen an, wie sie ihn beim Hacken benutzte. »Deshalb solltest du hierherkommen. Ich schicke dir einen Jet.«
Ja, sie konnte nach Florida fliegen und ihre Tage in Moses grandioser ummauerter Prachtvilla verbringen. Aber derzeit galt ihre größte Sorge Interpol und einem Mann, der sie bis ans Ende der Welt verfolgt hatte.
Möglicherweise ein Kerl, den sie längst für tot gehalten hatte.
Im Lauf der Jahre hatte sie vielen, vielen Leuten Geld gestohlen, und alle waren stinksauer, nicht zuletzt die Mitglieder der mega-mächtigen Firma Itor Corp. Über die hatte Mose ihr notgedrungen die Wahrheit erzählt, nachdem sie unabsichtlich einen Itor-Deal mit den Taliban verbockt hatte. Aber die meisten ihrer Zielpersonen waren reiche, korrupte Einzelpersonen. Und soviel sie wusste, war keiner jemals durch ihre Schuld in Todesgefahr geraten, abgesehen von Ryan, damals vor fast fünf Jahren. Und seither verging kein Tag, an dem sie sich nicht fragte, ob er wohl noch lebte.
Der Gedanke, sie könnte für den Tod eines Menschen verantwortlich sein – sogar eines Menschen, der
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