Gespielin des Feuers: Roman (German Edition)
ganzen Autofahrt hatte sie Itors Gegenwart gespürt. Wie sie erst jetzt erkannte, würde sie auch Trance gefährden, wenn die Schurken sie aufspürten. Statt ihn zu schützen, würde sie ihn zur Zielscheibe machen.
Verzweifelt schloss sie die Tür hinter sich und presste ihre Fäuste auf den Rand des Waschbeckens. Erst mal brauchte sie ein paar Minuten, um sich zu fassen. Ein Blick in den Spiegel verriet ihr mehr, als sie über ihren Zustand wissen wollte. Wild zerzaust hing ihr das Haar ins Gesicht. Mit der verschmierten Wimperntusche glich sie einem Waschbären, mit den bleichen, hohlen Wangen einem halb verhungerten Straßenkind.
Nur in den Augen funkelten Kraft und Leben. Doch das lag an der aufgebrachten Wölfin. In diesem Haus, vor allem in Trances Nähe, fühlte sich das Tier unbehaglich und wollte am liebsten abhauen.
Und wie Ulrika sich ehrlich eingestand, sie wollte dasselbe.
Wenn sie bei Trance blieb, wäre das sein Todesurteil.
»Tut mir so leid, dass ich dich da reingezogen habe«, wisperte sie. Seit Jahren war er der erste Mensch, den sie mochte. Der erste seit Masanao, und nicht einmal bei der Geschichte damals konnte man von einer echten Freundschaft sprechen. Gewiss, er war nett zu ihr gewesen – wie ein Himmelsgeschenk in einer Welt, wo alle anderen sie so bösartig und eiskalt behandelten oder aber nur gleichgültig zusahen, in welcher Not sie sich befand.
Letztlich hatte er für seine Freundlichkeit bezahlt. Und das – oder etwas noch Schlimmeres – musste sie Trance ersparen.
Nur zwei Sekunden brauchte sie, um das Fenster über der Toilette zu öffnen und hindurchzuschlüpfen. Sobald sie draußen am Boden landete, ging eine Alarmanlage los.
Also war das Haus wirklich überall gesichert? Scheiße!
Ein heftiger Adrenalinschub und schiere Panik jagten Ulrika durch den Garten zu einem hohen Zaun. Nun kam ihr zugute, dass sie ihre Kindheit überwiegend mit Klettern auf Bäumen und Felsen verbracht hatte.
Auf der anderen Seite des Zauns zögerte sie lange genug, um Meeresluft zu wittern und sich zu orientieren. Ein Instinkt empfahl ihr eine Flucht landeinwärts, zu einem Wald. Vorerst bildeten diese Intuition und das Messer im Stiefelschaft ihr gesamtes Verteidigungsarsenal.
Sie rannte durch Gärten, zwischen Häusern hindurch. Soweit sie es vermochte, hielt sie sich von Straßen und Gehsteigen fern. Ihr geschärfter Geruchssinn diente ihr als Wegweiser, und sie wandte sich in die Richtung frischer, reiner Luft, die nicht von Menschen verpestet wurde.
Während sie dahinlief, jubelte die Wölfin, sie liebte die Freiheit, liebte das Tempo. Noch immer drängte sie aus ihr heraus, wollte in animalischer, nicht in menschlicher Form durch die Nacht rasen. Doch dieser Zustand war besser als gar kein Vorteil.
Wann immer Ulrika einem Menschen über den Weg lief, wuchs ihre innere Panik. Endlich, etwa eine Stunde später, erreichte sie eine ländliche Gegend. Sie sprang über einen steinernen Wall und gelangte auf eine Wiese, die voller Schafe war.
Vom Jagdfieber gepackt, begann die Wölfin zu zittern. Doch für so etwas war die Zeit zu knapp, denn Ulrika musste sich so schnell wie möglich in dem Wald verstecken, hinter einer Felsformation, die weiter vorn emporragte. Dort angekommen, rannte sie noch eine ganze Zeit lang weiter. Schließlich musste sie sich eine kurze Atempause gönnen.
Sie sank ins feuchte Gras. An einen Baumstamm gelehnt, schloss sie erschöpft die Augen. Ihre Beine fühlten sich wie Gummi an, ihre Lungen brannten von dem anstrengenden Laufen. Während der fünfstündigen nächtlichen Fahrt nach Plymouth war sie keine Sekunde lang eingenickt. Und nun, im Morgengrauen, brauchte sie dringend ihren Schlaf. Trotzdem durfte sie sich nur ein paar Minuten ausruhen.
Was mochte Trance gerade tun? Vermutlich suchte er die Straßen der Stadt nach ihr ab, weil er erwartete, sie würde in einer dicht bevölkerten Umgebung untertauchen. Oder vielleicht nahm er an, sie wäre ans Meer geflohen, um sich als blinder Passagier auf ein Boot zu schleichen.
Ein blökendes Schaf erschreckte Ulrika. Verwirrt sprang sie auf und blinzelte – anscheinend war sie eingeschlafen.
Und direkt vor ihr stand ein sichtlich wütender Trance. »Auf deine Art haben wir’s versucht«, herrschte er sie mit tiefer, scharfer Stimme an, die wie eine Peitsche auf ihrer Haut knallte. »Jetzt machen wir’s auf meine.«
Ihr Mund war staubtrocken. Mühsam schluckte sie und wich einige Schritte zurück. »Wie –
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