Gesponnen aus Gefuehlen
gestern Abend fortbringen sollen. Aber das klang alles so verquer.«
»Du hast ihr nicht geglaubt?«, fragte Colin und sah sie an.
»Ich will ihr gern glauben. Aber im Ernst, Colin. Die Geschichte ist wirklich abenteuerlich. Das musst du zugeben. Ich weiß, dass Lucy der wichtigste Mensch auf der Welt für dich ist. Aber selbst du musst doch einige Zweifel an der Geschichte haben.«
»Hatte ich auch«, bestätigte er. »Aber da ist dieses Mal. Du hast das Licht gesehen. Und Nathan hat uns die Geschichte im Grunde bestätigt.«
»Du hast ja recht. Aber in meinem Leben kam so etwas Mysteriöses bisher nicht vor.«
»Was soll das, Jules?« Colin rückte von ihr ab. »Denkst du, Lucy hat sich das alles ausgedacht? Was ist mit Madame Moulin?«
»Sie wäre nicht die Erste, die in dem Gedränge vor eine U-Bahn fällt.«
»Und das Feuer?«
»Ein Kabelbrand.«
»Und die Männer im Krankenhaus?«
Jules sah ihn beinahe mitleidig an. »Dafür haben wir bisher nur ihr Wort.«
»Die Krankenschwestern«, rief Colin aus. »Lucy hat erzählt, dass sie niedergeschlagen wurden. Ganz sicher haben sie die Polizei gerufen.«
Es klingelte an der Tür und beide schraken zusammen.
*********
Lucys Schädel dröhnte, als sie zu sich kam. Wieder einmal. Um sie herum war es stockfinster. Nur ein schmaler Lichtschein flackerte unter der Tür hindurch. Sie lag auf einem Bett. Alles an ihr fühlte sich merkwürdig taub an und ihre Zunge lag geschwollen in ihrem Mund. Sie fragte sich, was passiert war. Es gab nur eine Antwort darauf. Sie hatten sie in ihre Fänge bekommen. Angst machte sich mit ungeahnter Geschwindigkeit in ihr breit. Sie begann zu zittern. Ihr Atem ging unnatürlich schnell. Wie hatte sie so naiv sein können zu glauben, dass sie ihnen gewachsen war? Immerhin hatte Batiste de Tremaine Menschenleben auf dem Gewissen. Nichts hatte ihn abhalten können, sie in seine Gewalt zu bringen. Sie hoffte, dass Colin nichts geschehen war.
Das Geräusch eines Schlüssels ließ sie aufhorchen. Sie stellte sich schlafend. Licht flammte auf und zwei Männer traten herein. Der bulligere von beiden trug ein Tablett in den Händen. Der andere brachte lediglich einen vertrauten Duft in das Zimmer.
»Lucy? Bist du wach?« Nathan setzte sich auf die Bettkante und zog die Decke von ihrem Gesicht.
Er hielt ihr ein Wasserglas an die Lippen, doch sie schlug es fort. Sie wollte aus diesem Bett, aus dem Zimmer, aus dem Haus. Sie stieß Nathan zur Seite und sprang auf. Der bullige Typ war schneller, als sie es ihm zugetraut hätte. Jetzt erkannte sie in ihm einen der Männer aus dem Krankenhaus. Er griff nach ihrem Arm und zog sie zurück. Seine Finger umfassten ihr Handgelenk wie ein Schraubstock. Triumphierend sah sie, dass er an der Nase verletzt war. Kampflos würde sie sich auch diesmal nicht ergeben. Sie versuchte, sich loszureißen.
»Das reicht, Orion«, sagte Nathan. »Sie wird vernünftig sein. Nicht wahr, Lucy?«
Lucy drehte sich zu ihm. Am liebsten hätte sie ihm seine verlogenen Augen ausgekratzt. Da ihr das nicht möglich war, spuckte sie ihm ins Gesicht.
»Du mieser Verräter.«
Nathan verzog keine Miene, sondern wischte sich mit einem Taschentuch das Gesicht ab.
»Tee für dich.« Er wies auf das Tablett, das auf dem Tisch stand. »Im Schrank hängen Kleider. Orion wird dich in einer halben Stunde abholen. Wir speisen gemeinsam mit meinem Großvater.«
Die Tür schloss sich hinter den beiden und Lucy blieb allein mit ihrer unbändigen Wut und ihrer Angst.
Ob Colin oder Jules zur Polizei gingen? Sie musste nur durchhalten, bis jemand kam und sie befreite. Sie wollte nicht glauben, dass ihre Gefangenschaft lange andauerte. So eine Macht konnte nicht einmal Batiste de Tremaine haben. Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen. Sie versuchte, sie herunterzuschlucken.
Wie spät mochte es sein? Sie ging zum Fenster und schob die Vorhänge zur Seite. Es war dunkel, doch in dem parkähnlichen Garten, der sich vor ihr erstreckte, brannten zahllose Lichter.
Das Zimmer, in das sie eingesperrt war, lag zu hoch, um hinunterzuklettern. Also versuchte sie es an der Tür. Wie erwartet war diese jedoch abgeschlossen. Suchend sah sie sich um. Gab es in dem verdammten Raum nichts, mit dem sie das Schloss aufbrechen konnte? Sie wurde nicht fündig. Das Zimmer schien nicht regelmäßig benutzt zu werden. Trotzdem war es äußerst luxuriös eingerichtet. Die Möbel mussten allesamt Antiquitäten sein. An einer der Wände stand das
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