Gesponnen aus Gefuehlen
Pullovers hervor. Die Bücher begannen aufgeregt zu wispern.
»Eine Hüterin«, hörte Lucy eine helle Stimme.
»Warum bist du hier?«, fragte eine andere.
»Ich muss herausfinden, wie ich euch beschützen und wie ich die anderen Bücher zurückholen kann.« Zärtlich streichelte Lucy einen der Buchrücken. Sie spürte Samt unter ihren Fingern.
»Du bist hier nicht sicher«, flüsterte das Buch.
»Sie haben mich entführt, aber ich lasse nichts unversucht, das müsst ihr mir glauben. Ich muss herausfinden, wie ich die de Tremaines besiegen kann.«
»Das ist ein schwerer Weg, Lucy. Du wirst viel Kraft brauchen. Seit Hunderten von Jahren warten wir darauf, dass jemand den Männern entgegentritt. Du weißt, wozu sie fähig sind. Es gab tapfere Hüterinnen, wie Philippa und ihre Tochter. Es gab Hüterinnen, die uns unserem Schicksal überlassen haben. Und es gab solche, die kämpften und dies mit ihrem Leben bezahlten, wie deine Mutter«, erklärte ihr eine tiefe Stimme.
Lucys Herz gefror. »Meine Mutter ist tot?«, fragte sie flüsternd und die winzige Hoffnung, die sie immer gehegt hatte, erstarb.
»Wir konnten sie und deinen Vater nicht retten«, war die leise Antwort.
Lucy klammerte sich an einem der Regale fest. Ihre Finger begannen, unter der Berührung zu prickeln.
»Du kannst diese Aufgabe nicht allein bewältigen«, wisperte das kleine Buch neben ihr eindringlich. Sie ließen ihr keine Zeit, das eben Gehörte, zu verarbeiten. Das Kribbeln in Lucys Händen kroch ihre Arme entlang und bahnte sich einen Weg in ihr Innerstes.
»Du wirst seine Hilfe brauchen«, sagte ein anderes Buch.
»Du musst Vertrauen haben. Nur gemeinsam könnt ihr uns retten! So ist es vorherbestimmt«, ergänzte ein drittes.
»Wem soll ich vertrauen?«, fragte Lucy. Hoffnung glomm in ihr auf. Sie war nicht allein. Es gab jemanden, der ihr helfen würde.
Stille antwortete ihr.
Die Tür des Raumes öffnete sich und wie durch einen Nebel hörte Lucy Nathans Stimme und die seines Großvaters.
»Da ist ja unser Gast«, sagte Batiste und es klang, als hätte er lange darauf gewartet, dass sie ihn mit seiner Anwesenheit beehrte.
Lucy wagte nicht, sich zu ihm umzudrehen. Sie brauchte einige Sekunden, um sich zu fangen.
»Alles in Ordnung, Lucy?«, fragte Nathan und trat neben sie.
Die Berührung seiner Hand verstärkte das Prickeln. Sie fuhr herum und wich vor ihm zurück. Sie sah ihn an. War da Sorge in seinem Blick?
Sie schüttelte seine Hand ab. Was für ein begnadeter Schauspieler er war. Sie würdigte seine Frage keiner Antwort und drehte sich zu seinem Großvater.
Batiste de Tremaine stand auf seinen Stock gestützt neben dem Tisch.
»Wie ich sehe, gefällt Ihnen mein Lesezimmer. Haben Sie Bekanntschaft mit meinen Büchern gemacht?«
Lucy überging seine Äußerung.
Batiste verzog sein Gesicht zu einem Lächeln.
»Sofia hat das Essen angerichtet. Wir können hinübergehen«, sagte er.
Lucy sah den alten Mann an. Trotz seiner Gebrechlichkeit war die Aura von Autorität, die er sein Leben lang verströmt hatte, deutlich spürbar. Wäre sie ihm in einem Vorlesungssaal begegnet, hätten seine hochgewachsene Gestalt und sein leidenschaftlicher Blick ihr vermutlich imponiert. Vergeblich versuchte sie, das Monster zu entdecken, das er war. Doch er war genauso ein Blender wie sein Enkel. Sie musste sich in Acht nehmen.
Nathan bedeutete ihr voranzugehen. Er führte sie zu ihrem Platz und zog ihren Stuhl zurück. Diese mittelalterliche Höflichkeit und der Raum, der von unzähligen Kerzenleuchtern erhellt wurde, schüchterten sie mehr ein, als sie zugeben wollte.
Batiste de Tremaine nahm neben ihr am Kopfende der Tafel Platz. Nathan setzte sich ihr gegenüber.
Ein leises Knurren drang an ihre Ohren. Unter dem Fenster am anderen Ende des Raumes liefen zwei schwarze Hunde auf und ab. Lucy erschrak, als sie begriff, um welche Hunde es sich handelte.
»Ruhe«, ordnete Batiste an und die Hunde streckten sich nieder. Lucys Hände zitterten und sie verbarg sie in ihrem Schoß.
Eine ältere Dame betrat den Saal mit einem Tablett, auf dem drei Teller standen. Köstlicher Geruch stieg Lucy in die Nase. Ihr Magen knurrte vernehmlich und erinnerte sie daran, dass sie seit dem Frühstück nichts gegessen hatte. Die Frau servierte die Suppe und zog sich zurück.
»Essen Sie, meine Liebe«, forderte Batiste sie auf.
Lucy war sprachlos. Der Mann tat, als wäre sie freiwillig hier. Na gut, sie würde das Spiel vorerst mitspielen. Sie griff
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