Gesponnen aus Gefuehlen
Angelegenheit.« Nathan griff in seine Hosentasche und beförderte einen Schlüssel heraus.
»Ich denke, es spricht nichts dagegen, wenn wir kurz vor die Tür gehen.«
Er hielt Lucy ihre Jacke hin, die er aus einer Reisetasche zog, die sie bisher übersehen hatte, und zog seine eigene über.
Die kalte Luft zwickte Lucy in die Nase, kaum dass sie vor die Tür getreten waren. Ihr Atem gefror vor ihrem Mund zu weißen Wolken. Sie hatte keine Ahnung, wie Nathan diesen Ort gefunden hatte, doch allein würde sie niemals wegkommen. Das Haus sah von außen noch winziger und windschiefer aus als von innen. Der weiße Lehmputz war an vielen Stellen längst abgeblättert. Die Fensterläden, die zugenagelt den Blick nach innen und außen verwehrten, wären ohne diese Hilfe längst abgefallen und verrottet. Der kleine Garten, der irgendwann einmal das Haus umgeben hatte, war von Unkraut überwuchert. Selbst nach dem Gemäuer streckte der gierige Efeu seine Finger aus. Der Holzzaun war unter dem Ansturm längst zusammengebrochen. Immerhin war im verlöschenden Tageslicht ein Pfad erkennbar, der in den Wald führte, welcher das Haus umgab. Die dunklen Wipfel der Kiefern reckten sich bedrohlich in den Himmel und ließen sich von dem kalten Wind hin und her schaukeln. Wenn nur einer dieser Bäume auf das Haus stürzte, war es um sie geschehen, dachte Lucy. Das Auto, mit dem Nathan sie hergebracht haben musste, war nirgendwo zu sehen.
»Lass uns ein Stückchen gehen«, forderte Nathan sie auf.
Die Hände in den Taschen ihrer Jacke vergraben, folgte sie ihm den Pfad hinunter. Dieser verbreiterte sich ein Stück unterhalb des Hauses und unter den Bäumen, verborgen hinter ein paar Büschen stand ein Wagen.
»Wie hast du das Haus gefunden?«, fragte sie, als das Schweigen zwischen ihnen erdrückend wurde.
»Im Internet«, antwortete Nathan kurz angebunden. Aufmerksam behielt er die Umgebung im Auge. Dank des Vollmondes, der am Himmel stand, konnte man erstaunlich gut sehen. Der nachtschwarze wolkenlose Sternenhimmel wölbte sich über ihnen.
»Und woher hast du den Schlüssel?«
Nathan warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Sagen wir mal so, ich habe gehofft, dass ich irgendwie reinkomme. Dass der Schlüssel oben auf dem Türrahmen lag, war eher Glücksache.«
»Du scheinst einen wirklich guten Plan gehabt zu haben, um mich vor deinem Großvater zu verstecken«, erwiderte Lucy spöttisch.
»Ich hätte keinen Plan gebraucht, wenn du gemacht hättest, worum ich dich gebeten habe. Du hättest nur ein bisschen so zu tun brauchen, als ob du auf seine Forderungen eingehst. Dann hätten wir deutlich mehr Zeit gehabt, uns etwas zu überlegen.«
»Wir?«
»Ja, wir.«
Schweigend liefen sie weiter den Pfad hinunter, bis sie zu einer Kreuzung kamen.
»Wir sollten umkehren. Ich glaube, hier ist in den letzten Tagen niemand gewesen. Ich hoffe, dass wir noch ein oder zwei Tage bleiben können, danach müssen wir uns etwas anderes ausdenken.«
»Kommt Batiste tatsächlich nicht und holt uns ab?«, konnte Lucy sich nicht verkneifen zu fragen.
»Ich kann ihn gern anrufen, wenn es das ist, was du möchtest.«
»Nein, danke. Kein Bedarf.« Lucy wandte sich ab und stapfte den Pfad zurück.
»Wie war dein Plan, wenn man fragen darf? Wie hattest du vor, dich vor mir und dem Bund zu schützen? Wolltest du den Rest deiner Tage in deinem winzigen Zimmer verbringen, mit Colin als Wachhund davor?« Nathans Ton war schneidend.
Lucy überlegte. Im Grunde hatte er recht. Sie hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. »Irgendetwas wäre mir schon eingefallen«, behauptete sie.
»Ja, sicher.«
»Wichtig ist nur, dass die Bücher vor dir sicher sind. Und solange wir zusammen sind, sind sie das wohl.«
.«Du bist zu liebenswürdig«, erwiderte Nathan sarkastisch.
»Du kannst mich gern gehen lassen«, sagte Lucy. »Oder willst du mich ewig einsperren.«
»Wo willst du hin?«, fragte er.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Lucy wahrheitsgemäß.
»Dann vergiss es.«
»Wie, vergiss es?«, fauchte Lucy ihn an. »Bin ich also doch deine Gefangene?«
»Das kannst du gern so sehen. Wenn du mir sagen kannst, was du vorhast oder wohin du gehen möchtest, und wenn ich glaube, dass du an diesem Ort sicher vor meinem Großvater bist, lasse ich dich ziehen. Bis dahin musst du mit meiner Gesellschaft vorliebnehmen.«
»Ich hasse dich.«
»Damit kann ich leben.« Nathan zuckte gleichmütig mit den Achseln.
Lucy stürmte den Weg hinauf. Im Haus angekommen,
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