Gesponnen aus Gefuehlen
hatte keine Wahl«, sagte sie mit fester Stimme.
»Er muss nur tun, was sein Großvater von ihm verlangt, nichts anderes. Und dich von hier fortzubringen, stand nicht auf der Liste.« Orion lachte ein falsches Lachen.
»Batiste de Tremaine will mich gegen meinen Willen zu etwas zwingen«, sagte Lucy und setzte einen Fuß hoch auf die nächste Treppenstufe. Wenn sie Orion nach unten lockte, konnte sie gar nichts ausrichten.
Unwillkürlich ging Orion einen Schritt rückwärts und stieg ebenfalls die Treppe wieder hinauf.
»Wenn der Herr es für richtig hält, wird es auch richtig sein«, bestimmte Orion.
»Stellen Sie nie infrage, was er befiehlt?« Voller Schrecken fiel Lucy ein, dass das Monstrum ihr gegenüber vielleicht für den Tod von Madame Moulin verantwortlich war. Kalter Schweiß brach ihr aus. Und selbst wenn nicht er, sondern sein Kumpan, ihr den tödlichen Stoß versetzt hatte, spielte es keine Rolle. Skrupel kannten beide nicht. Lucy klammerte sich an das Geländer, um das Zittern, das auch ihre Hände erfasste, unter Kontrolle zu bringen.
»Nein, niemals«, antwortete er kurz angebunden. »Nun ist es aber genug. Ich verschwende meine Zeit nicht mit unnützem Geschwätz. Lässt du dich freiwillig ins Haus bringen, oder muss ich dich zwingen?«
Lucy tat, als müsse sie überlegen. Sie machte einen weiteren Schritt. Orion zwängte sich rückwärts durch die Öffnung. Ein triumphierendes Lächeln zuckte um seine Lippen. Er griff nach Lucys Arm, um sie hindurchzuziehen. Wie Klauen legten sich seine Finger um ihr Handgelenk. Ihr Mut verließ sie. Widerstandslos ließ sie sich nach draußen zerren.
Etwas raschelte in dem finsteren Raum, und ehe Lucy begriff, was geschah, ließ die Pranke sie los und Orion verdrehte die Augen. Die Kerze in seiner Hand fiel zu Boden und erlosch. Ein dumpfer Aufschlag machte deutlich, dass der Mann zu Boden gegangen war.
Lucy rührte sich nicht. Erst das Klicken eines Feuerzeugs löste ihre Erstarrung.
Sofia stand vor ihr. In der einen Hand hielt sie eine Kerze, in der anderen ein Nudelholz.
Ein Buch ist dem Verfasser,
was den Schönen ihr Bild im Spiegel ist.
Jean Paul
19. Kapitel
»Es ist soweit«, flüsterte Luke den drei Freunden an der Bar zu. »Die beiden anderen Mädchen sind fertig.«
»Sind sie genauso perfekt wie Marie?«
Luke zuckte bescheiden mit den Schultern. »Ich habe mein Bestes gegeben. Im Hellen würde man schnell erkennen, dass sie nicht Lucy sind, aber ich denke, für euren Zweck wird es genügen.«
»Danke, Luke«, sagte Marie. »Dafür bin ich dir etwas schuldig.«
»Kein Problem, Süße. Immer wieder gern. Er zwinkerte ihr zu und gesellte sich zu den anderen.
Marie rieb sich die schweißfeuchten Hände an ihrer Hose ab und blickte in die Gesichter ihrer Freunde. Obwohl sie wussten, zu welchen Abscheulichkeiten Batiste de Tremaine fähig war, war ihnen das Ganze bisher wie ein Spiel erschienen. Ein Spiel, das nun ernst wurde. Jetzt konnten sie nur hoffen, dass niemand zu Schaden kam.
Jules sah auf ihre Uhr. »Halb acht. Lucy hat nichts von sich hören lassen. Wir halten uns an den Plan. Eigentlich müsste ihnen die Flucht längst gelungen sein. Wir können Batiste noch eine halbe Stunde an der Nase herumführen, dann merkt er, dass wir ihn getäuscht haben. Spätestens dann wird er auf dem Landsitz anrufen.«
Colin und Marie nickten.
Colin stieß einen leisen Pfiff aus. Wie auf Kommando wandten sich die anderen ihnen zu. Aus der Toilette schlüpften zwei Mädchen, die identische Klamotten wie Marie trugen und Lucys rote Haare hatten. Colin staunte, wie schwer die drei in dem gedämpften Licht der Bar voneinander zu unterscheiden waren.
Alles klappte wie geplant. Gemeinsam verließen sie die Bar. In der Mitte des Pulks gingen die drei Lucys. Colin sah aus dem Augenwinkel, dass sich an der flachen Mauer, gegenüber dem Eingang sechs Männer postiert hatten. Die Autos waren verschwunden. Als alle auf einmal aus der Bar kamen, wirkten die Beobachter verunsichert.
Der Pulk löste sich auf und teilte sich in drei Gruppen. Jeder ihrer Freunde wusste genau, zu welcher Gruppe er gehörte. Jede Gruppe nahm ein Lucydouble in die Mitte und stürmte in eine andere Richtung davon.
Colin wandte sich um. Zu seinem Leidwesen brauchten ihre Jäger nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen. Jeweils zwei von ihnen hängten sich an eine Gruppe. Batiste wollte offenbar diesmal kein Risiko eingehen. Anders ließ sich nicht erklären,
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