Gesprengte Ketten
sich besser kennen zu lernen."
Rosemarie Gerlich nickte bedächtig. "Eine sehr gute Idee, Herr Professor", pflichtete sie ihm bei. "Die meisten Ihrer Kollegen werden sich noch fremd sein. Keiner von ihnen ist länger als vier W ochen im Ärztehaus."
"So weit ich weiß, haben sie sich, bevor sie eine Praxis in me inem Haus bezogen haben, kaum gekannt", sagte Prof. Dr. Waller. Es war sein Traum gewesen, eines Tages ein Haus zu bauen, in dem Ärzte der verschiedensten Fachrichtungen ihre Praxen hatten. Noch vor seiner Pensionierung hatte er sich einen Architekten gesucht, der nach seinen Angaben die notwendigen Baupläne erstellt hatte. Ihm war zugutegekommen, dass drei alte Häuser am Schlosspark abgerissen werden sollten. An ihrer Stelle stand jetzt das Ärztehaus. Der Bau war teurer gekommen, als es geplant gewesen war und er hatte seine Altersversorgung angreifen müssen, doch darüber machte er sich keine Gedanken. Durch die Mieteinnahmen, die er mit dem Ärztehaus erzielte, würde er die Lücken in seiner Altersversorgung schnell schließen können.
"Ich könnte ein kaltes Büfett richten", überlegte die Haushält erin laut. "Es würde mir großen Spaß machen."
"Wäre es nicht besser, einen Partydienst zu beauftragen?"
"Das dürfen Sie mir nicht antun, Herr Professor", protestierte Rosemarie Gerlich. "Auf meiner früheren Arbeitsstelle habe ich oft Partys organisiert. Natürlich werde ich Hilfe brauchen. Sie könnten Frau Wieland fragen, ob sie uns an diesem Abend helfen kann. Sie wird es gewiss nicht ablehnen."
Prof. Dr. Waller nippte erneut an der Limonade. "Sie ist eine sehr tüchtige Frau, diese Gesa Wieland", bestätigte er. "Überhaupt bin ich mit den Wielands sehr zufrieden. Mit ihrer Einstellung habe ich einen guten Griff getan. Sie halten das Haus picobello sauber."
"Ja, da kann man nicht klagen. Sie sind alle sehr tüchtig. Selbst die neunjährige Melina hilft schon manchmal beim Putzen, indem sie die Papierkörbe leert und Blumen gießt." Frau Gerlich erhob sich. "Ich muss wieder in meine Küche", sagte sie. "Einen Punkt gibt es allerdings bei den Wielands, der irgendwann zu Ärger führen wird. Die Kinder sind ziemlich laut und unbedacht. Melina und ihre Freunde hätten mich vorhin fast umgerannt. Einer ihrer Freunde hat sogar eine junge Frau belästigt, die die Treppe hinunter gestiegen ist."
"Es ist gut, dass Sie mir das sagen, Frau Gerlich", meinte der Professor. "Ich werde bei Gelegenheit mit Frau Wieland darüber sprechen." Er schmunzelte. "Meine eigenen Kinder sind auch ke ine Engel gewesen."
"Auf dem Bild in Ihrem Schlafzimmer sehen Ihre Kinder aus, als wenn sie kein Wässerchen trüben könnten."
"Das täuscht, Röschen, das täuscht!" Auch der Professor erhob sich. "Ich muss meinen Sohn anrufen. Er wollte an und für sich am Sonntag nach Burghausen kommen, war sich jedoch noch nicht sicher, ob es auch klappt."
"Eine Freundin?"
"Es wäre schön, wenn es in Peters Leben endlich eine Frau geben würde. Leider interessiert ihn momentan nur sein Beruf. Er ist Arzt aus Leidenschaft."
Mimi hatte ihr Polster verlassen und strich um die Beine ihres Herrchens. Marquard Gerlich beugte sich zu ihr hinunter und nahm sie auf den Arm. Leise miauend schmiegte sie sich an ihn. "Ich hätte schon gern irgendwann ein Enkelchen. Meine Tochter macht auch keine Anstalten, zu heiraten."
"Eine Heirat ist kein Garant für Enkelkinder", meinte Rosemarie Gerlich. "Sehen Sie, meine Tochter Gisela ist seit fünf Jahren mit einem wirklich netten Mann verheiratet, aber Kinder haben sie noch nicht. Gisela und Holger sind schon verzweifelt, was ich gut verstehen kann."
"Haben sie sich schon untersuchen lassen?"
"Sie haben wirklich schon alles versucht", antwortete Rosemarie Gerlich. "Nun muss ich wirklich in die Küche, Herr Professor, sonst brennt das Essen doch noch an."
Mimi sprang vom Arm des Professors und folgte der Haushä lterin in die Küche. Miauend umkreiste sie ihren leeren Futternapf, bis sich Rosemarie Gerlich ihrer erbarmte und den Napf mit Hackfleisch fühlte. Gierig machte sich die Katze darüber her.
Die Haushälterin nahm den Obstsalat aus dem Kühlschrank und brachte die Schale ins Esszimmer. Sie hörte, wie der Professor mit seinem Sohn sprach. Für einen Moment blieb sie stehen und lauschte seiner Stimme. Was für ein wunderbarer Mann!, dachte sie verträumt und bedauerte, Bernhard Waller nicht schon als ju nge Frau begegnet zu sein.
* * *
Laura Ravens fuhr ihren Wagen in die Garage.
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