Geständnis
Sie brennen
darauf, ihn zu sehen, und er wartet ebenso sehnsüchtig auf Sie.
Aber seien Sie gewarnt: Es wird wie ein ganz normaler Besuch sein.
Er wird auf der einen Seite der Plexiglasscheibe sitzen, Sie auf
der anderen. Gesprochen wird über Telefon. Es ist grotesk, aber so
ist das in Texas.“
„ Keine Umarmungen, keine Küsse?“, sagte Andrea. „Nein. So sind
die Regeln.“
Roberta begann zu weinen, dicke Tränen unter leisem Schniefen.
„Ich darf mein Baby nicht in den Arm nehmen“, brachte sie hervor.
Einer ihrer Brüder reichte ihr ein Taschentuch und tätschelte ihre
Schultern. Nach einer Minute gewann sie ihre Haltung wieder.
„Entschuldigen Sie bitte.“
„ Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen, Roberta“, sagte
Robbie. „Sie sind die Mutter, und Ihr Sohn wird für etwas
hingerichtet, das er nicht getan hat. Sie haben das Recht, zu
weinen. Ich an Ihrer Stelle würde heulen, schreien und wild um mich
schießen. Und vielleicht tue ich das auch noch.“
Andrea fragte: „Was ist mit der Hinrichtung selbst? Wer wird
anwesend sein?“
„ Die Zeugenkammer ist durch eine Wand geteilt, um die Familie
des Opfers von der Familie des Häftlings zu trennen. Alle Zeugen
stehen. Es gibt keine Stühle. Die einen bekommen fünf Plätze, die
anderen bekommen fünf Plätze. Die übrigen sind für Anwälte,
Gefängnisbeamte, Pressevertreter und so weiter. Ich werde auch dort
sein. Roberta, ich weiß, dass Sie dabei sein wollen, aber Donte
besteht darauf, dass Sie nicht kommen. Er will nicht, dass Sie
zusehen.“
„ Tut mir leid, Robbie“, sagte sie und putzte sich die Nase.
„Diese Diskussion hatten wir schon. Ich war da, als er geboren
wurde, und ich werde da sein, wenn er stirbt. Er weiß es vielleicht
nicht, aber er wird mich brauchen. Ich werde Zeugin
sein.“
Robbie hatte nicht vor, sich zu streiten. Er versprach, am
nächsten Abend wiederzukommen.
Chapter 7
Die Jungen schliefen längst, als sich Keith und Dana Schroeder
in der Küche des bescheidenen Pfarrhauses im Zentrum von Topeka
zusammensetzten. Sie saßen einander gegenüber, beide mit Laptop,
Schreibblock und entkoffeiniertem Kaffee ausgestattet. Der Tisch
war mit Texten übersät, die sie im Internet gefunden und im
Pfarrbüro ausgedruckt hatten. Das Abendessen war eine schnelle
Sache gewesen, Nudeln mit Käse, denn die Kinder hatten noch
Hausaufgaben zu erledigen, und die Eltern waren mit anderen Dingen
beschäftigt.
Dana hatte online nicht nachprüfen können, ob Boyette
tatsächlich im Januar 1999 in Slone festgenommen und inhaftiert
worden war. Die Gerichtsakten der Stadt waren nicht zugänglich. Das
Rechtsanwaltsregister verzeichnete hunderteinunddreißig Anwälte in
Slone. Blind suchte sie Nummern heraus, die sie anrief. Sie
erzählte, dass sie eine Bewährungshelferin aus Kansas sei und den
Hintergrund eines gewissen Mr. Travis Boyette überprüfe. Ob ein
Mann dieses Namens von der Kanzlei vertreten worden sei. Nein? Nun,
dann entschuldigen Sie bitte die Störung. Sie hatte nicht die Zeit,
alle anzurufen, das Vorhaben schien ohnehin aussichtslos. Sie nahm
sich vor, am Dienstagmorgen als Erstes bei der Geschäftsstelle des
Gerichts vor Ort anzurufen.
Nachdem er Nicoles Klassenring in der Hand gehalten hatte, war
Keith ziemlich davon überzeugt, dass Boyette die Wahrheit sagte.
Und wenn der Ring vor ihrem Verschwinden gestohlen worden war?, gab
Dana zu bedenken. Wenn er in einem Pfandleihhaus gelandet war? Was
dann? Andererseits - war es nicht äußerst unwahrscheinlich, dass
Boyette bei einem Pfandleiher einen Klassenring kaufte? Stundenlang
ging es so hin und her, immer wieder stellten sie ihre Theorien
infrage.
Vieles von dem Material, das auf dem Tisch verstreut lag,
stammte von zwei Websites, www.wemissyounikki.com und
www.freedontedrumm.com. Dontes Seite wurde von der Kanzlei Robbie
Flak gepflegt und kam wesentlich umfangreicher, aktueller und
professioneller daher. Nikkis Seite hatte ihre Mutter gemacht.
Keine von beiden bemühte sich im geringsten um
Objektivität.
Keith ging auf Dontes Seite, klickte auf die Chronik des Falls
und scrollte zum Kernelement des Verfahrens, dem Geständnis. In der
Einleitung hieß es, dass es zwei sehr unterschiedliche Versionen
vom Ablauf des Verhörs gebe. Diese erste Befragung Dontes habe
fünfzehn Stunden und zwölf Minuten gedauert und sei ohne größere
Unterbrechungen erfolgt. Donte habe dreimal zur Toilette gehen
dürfen und sei zweimal über den Flur in einen anderen
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