Gestern, heute - jetzt
dauerte eine Sekunde oder vielleicht auch eine Minute, ehe er wieder wagte, zu atmen. Ganz deutlich spürte er, wie seine Kontrolle schwand, wie sie ihm geradewegs durch die Finger glitt, und je mehr er sich darum bemühte, sie festzuhalten, desto schneller verabschiedete sie sich.
„Geh. Jetzt.“ Seine Worte klangen wie ein Peitschenhieb, was genau seine Absicht gewesen war. Sie bewirkten, dass Simone zurücktrat.
„Ich werde mich nicht noch einmal anbieten“, erklärte sie tapfer.
Ein einzelner, düsterer Gedanke keimte in ihm auf, doch er behielt ihn für sich, während sie sich abwandte und wieder nach drinnen ging.
Sie würde es nicht tun müssen.
Simone sammelte ihre Abendtasche ein, atmete einmal tief durch und steuerte auf die Küche zu, um dem Chefkoch und den Kellnern für ihren Service zu danken. Danach wollte sie gleich durch die Hintertür der Küche schlüpfen, doch der Koch hatte andere Pläne. Eigensinnig beharrte er darauf, dass zwei seiner Kellner sie durch den Garten zu ihrem Zimmer begleiteten.
„Mein Zimmer ist nur zweihundert Meter entfernt“, protestierte sie lachend. „Ich werde mich wohl kaum verirren.“
„Es ist dunkel“, wandte der galante Koch ein. „Sie brauchen eine Begleitung – wenn nicht meine Kellner, dann soll jemand Rafael suchen. Er kann Sie zu Ihrem Zimmer bringen.“
„Haben Sie und Inigo sich verschworen?“, fragte sie misstrauisch.
„Inigo verschwört sich nicht“, erwiderte der Koch mit breitem Grinsen. „Er orchestriert. Und da ist er ja auch schon, mit Ihrer Eskorte im Schlepptau. Immer zur rechten Zeit.“
„Inigo sagt, ich soll dich zu deinem Zimmer bringen“, bemerkte Rafael trocken, als er bei ihr ankam.
„Es ist sehr dunkel“, erklärte der Restaurantleiter.
„Und sehr spät“, assistierte der Koch. „Man weiß nie, was einem zu dieser Uhrzeit im Garten begegnen kann. Ein Wombat zum Beispiel.“
„Oder zehn Fuß große Wallabys“, warf Inigo ein.
„Spinnennetze!“, rief der Koch, so als würde das die Sache besiegeln. „Wir könnten Sie niemals allein durch den Garten gehen lassen.“
„Unvorstellbar“, stimmte Inigo zu, wobei er rasch die Flaschensammlung des Kochs überflog und dann nach einem erstklassigen Cognac griff, den er Rafael in die Hand drückte. „Ein Gutenachttrunk. Auf halbem Weg zu den Zimmern befindet sich eine wunderbar abgeschiedene kleine Gartenlaube. Perfekt, um …“
„Geh“, zischte Rafael, was Simone sofort beherzigte und auf die Tür zueilte.
Ein Chor aus Gutenachtwünschen folgte ihnen, bis die Küchentür hinter ihnen zufiel und die kühle Nacht sie mit einem Schlag umfing.
„Du musst nicht …“
„Hör auf“, unterbrach er sie scharf. „Ich will es nicht hören.“
Simone verstummte abrupt. Sie suchte nach einem unverfänglichen Thema, um ihm deutlich zu machen, dass sie sich ihm nicht noch einmal auf unerwünschte Weise nähern würde. „Hast du noch mal mit Etienne de Morsay gesprochen?“
„Ja. Ich habe unser Treffen verschoben. Gabrielle hat darauf bestanden, dass er nicht hierherkommen sollte.“
„Wirklich? Hat sie gesagt, warum?“
„Nein.“ Rafael strich sich ungeduldig durchs Haar. „Nicht genau. Es klang alles ziemlich verworren. Ich treffe ihn morgen in Sydney. Hoffentlich erhalte ich dann ein paar Antworten.“
Simone raffte ihren Rocksaum zusammen, um ihn vor dem Gras zu bewahren. Ihre Kleidung war nicht unbedingt praktisch.
„Steht dir“, bemerkte er widerwillig. „Das Kleid. Die Farbe. Was auch immer du mit deinen Haaren angestellt hast.“
„War das etwa ein Kompliment?“
„Ja.“ Rafael starrte sie an.
Simone starrte zurück. „Danke.“
Diesmal war er derjenige, der wegschaute. „Bis zum heutigen Tag war mir gar nicht wirklich bewusst gewesen, was ich von dir verlangt habe. Was du für mich hättest aufgeben müssen“, sagte er, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergegangen waren.
„Meinst du meine Stellung in der europäischen Gesellschaft?“ Sie zuckte die Achseln. „Die hätte ich innerhalb eines Herzschlags für dich aufgegeben, Rafael. Aber ich musste auch an meinen Vater und an Luc denken. Schließlich konnte ich sie nicht im Stich lassen. Sie brauchten mich.“
„Mehr als ich dich brauchte?“
Simone erinnerte sich ungern daran, dass sie sich freiwillig auf dieses Gespräch eingelassen hatte. Sie mussten die Luft zwischen ihnen bereinigen, auch wenn sie selbst dabei in keinem allzu guten Licht dastand.
„Du
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