Gestern, heute - jetzt
er.
Simone grinste. Hochzeiten und Waffenstillstandsvereinbarungen hatten etwas an sich, was die Sadistin in ihr hervorrief. „Tun wir das nicht alle?“
Um halb sechs waren Gabrielle und Simone angekleidet, perfekt frisiert und geschminkt, und sie strahlten nur so vor Schönheit.
„Aufhören!“, mahnte Sarah streng, als Simone sich bückte, um den Saum von Gabrielles Kleid zu richten. „Das ist meine Aufgabe. Von jetzt an habt ihr beiden nur noch dazustehen und umwerfend schön auszusehen. Ich bin diejenige, die noch mal hektisch herumläuft und die letzten Handgriffe erledigt.“
Der Fotograf erschien und begann, Aufnahmen zu machen. Harrison tauchte auf und lächelte scheu. Simone hatte ihn zu Beginn der Woche kennengelernt – ein großer, muskulöser Mann voll sanfter Stärke, mit kantigem Gesicht und Augen, die beinahe so blau waren wie die seines Sohnes, auch wenn sich die beiden sonst nicht besonders ähnelten.
Eines jedoch war unübersehbar: Harrison Alexander liebte seine Kinder.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Simone, was diesen Mann während ihrer langen, elenden Kindheit von seinem Sohn und seiner Tochter ferngehalten hatte. Ganz offensichtlich hatte Josien ihm den Kontakt untersagt, aber warum?
Und weshalb hatte er nicht für seine Kinder gekämpft?
„Harrison!“ Gabrielle nannte ihn zwar nicht Vater, aber die Wärme ihres Lächelns und die ausgestreckten Hände zeigten deutlich, dass sie diesen großen, sanften Mann liebte. „Du siehst sehr gut aus.“
Harrisons belustigtes Lächeln machte die Aussage beinahe wahr. „Glaub mir, im Vergleich zu Bräutigam und Trauzeuge habe ich nichts zu bieten.“
„Außer Weisheit, Erfahrung und Charme“, betonte Simone. „Ich wette, Sie haben nicht den ganzen Tag damit verbracht, sich krampfhaft eine Beschäftigung bis zum Beginn der Hochzeit zu überlegen.“
„Nein, aber ich kann mich an einen Tag wie diesen erinnern, der lange zurückliegt“, bekannte Harrison. „Ich hatte Mitleid mit deinem Bruder und dem Bräutigam und habe die beiden heute Morgen abgeholt. Jedes Rind und jedes Kalb, das ich besitze, ist von der Koppel in die entlegendsten Ecken meines Landes getrieben worden. Morgen bringe ich sie wieder zurück.“
„Du bist ein guter Mann“, entgegnete Gabrielle und gab ihm einen Kuss auf die sonnengegerbte Wange.
„Tochter“, erwiderte Harrison feierlich und bot ihr seinen Arm. „Darf ich?“
„Ich liebe dich“, sagte sie ruhig. „Ich liebe dich für das, was du für Rafael und mich getan hast. Und ja, Vater.“ Sie legte ihre Hand in seine Armbeuge. „Du darfst.“
Die Nachmittagssonne warf einen goldenen Glanz über den kleinen See, während Gabrielle und Simone in einer weißen Kutsche am Hochzeitspavillon vorfuhren. Das Wetter hatte sein Versprechen gehalten, und Simone würde es auch tun.
Ein Waffenstillstand.
„Da ist er“, wisperte Gabrielle leise.
„Ja.“ Da stand er, direkt neben dem Bräutigam. Simone erlaubte sich einen kurzen Moment schmerzhaften Bedauerns über das, was sie beide füreinander sein könnten, ehe sie diesen Gedanken resolut beiseiteschob. „Da sind sie.“
„Courage, mon amie “, ermutigte Gabrielle ihre Brautjungfer.
„Heute habe ich eine Menge davon“, versicherte Simone. „Genug auch für dich, falls du sie brauchen solltest.“
„Nein, brauche ich nicht.“
„Ich weiß.“ Simone lächelte, denn sie war sich ganz sicher, dass Luciens Herz bei Gabrielle für immer in guten Händen sein würde.
Der Fotograf machte Dutzende von Fotos, wie sie die Kutsche verließen. Währenddessen fing Simone Erinnerungen ein, die sie ihr Leben lang bewahren würde.
Der betörende Duft von Herbstrosen im Brautstrauß. Das Schimmern der alten Duvalier-Perlen, die um Gabrielles Hals lagen. Etwas Geliehenes, darauf hatte Simone bestanden. Die Kette hatte ihrer Mutter gehört.
Gabrielle trug sie mit Liebe und Stolz.
Gemessenen Schrittes führte Harrison seine Tochter zu der Stelle, an der Luc und Rafael warteten.
Die Worte der Trauung registrierte Simone kaum. Sie wusste, dass es wundervolle Worte waren. Sie wusste auch, dass sie der Wahrheit entsprachen. Doch sie hatte ihre Sinne weit geöffnet, um alle Eindrücke des Tages besser festhalten zu können. Luc in seinem schwarzen Anzug, so sicher in seiner Liebe zu Gabrielle. Gabrielle, die vor Glück nur so strahlte. Und Rafael, der niemals zurückschaute, und den Schutz seiner Schwester schweigend seinem ehemals besten Freund
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