Gestern, heute - jetzt
Angesichts seiner unverhohlenen Feindseligkeit bemühte sie sich um Fassung. „Ich brauche zehn Minuten.“
Sie schloss sich im Bad ein, sank gegen die Wand und atmete tief durch. Versuchsweise streckte sie die Hände aus. Sie zitterten. Ihr Herz sank, wenn sie daran dachte, wie stark seine Wirkung auf sie auch nach all den Jahren noch war. Seufzend schloss sie die Augen und zwang sich zur Ruhe.
Es war an der Zeit, sich anzuziehen. Es war an der Zeit, in ihrem Koffer nach den Kleidern zu suchen, die ihr Selbstbewusstsein und Souveränität verliehen. Kleider, die eine Frau gegen einen Mann wie Rafael wappneten.
Eine graue Hose und ihr Lieblings-Top in Mauve, dazu schicke schwarze Ledersandalen und eine Cartier-Uhr. Noch schnell mit der Bürste durchs Haar, ein wenig Lipgloss und Mascara aufgetragen, und dann wäre sie vielleicht bereit für ihn.
Nicht, dass sie es jemals wirklich gewesen wäre.
Rafael brütete schweigend vor sich hin, während er das Schlafzimmer durchquerte und auf die angrenzende Terrasse trat. Simone Duvalier sollte nicht hier sein. Heute noch nicht. Überhaupt nicht, wenn es nach ihm gegangen wäre. Nicht, dass er in letzter Zeit viel zu sagen gehabt hätte. Dafür hatte die bevorstehende Hochzeit seiner Schwester mit Luc Duvalier gesorgt. Warum die beiden nicht in Frankreich heiraten konnten, wo die Familie ein wunderbares Château aus dem siebzehnten Jahrhundert besaß, verstand Gott allein. Nein, Gabrielle hatte darauf bestanden, dass die Hochzeit in Australien stattfinden musste. Was bedeutete, dass ihre Entourage, die zugegebenermaßen nur aus Luc und Simone bestand, hier anreisen musste.
Er wollte sie nicht hier haben.
Luc nicht, auch wenn er über die Jahre hinweg zumindest den Anschein einer Freundschaft zu ihm aufrechterhalten hatte.
Und ganz sicher nicht Simone, die erhitzt und bezaubernd aussah und viel zu verletzlich für seinen Geschmack.
Rafe runzelte die Stirn. Hatte er ihr nicht beigebracht, dass man im Angesicht seiner Feinde niemals Schwäche zeigen durfte? Erinnerte sie sich denn an gar keine der Lektionen, die die Kindheit in Caverness sie alle gelehrt hatte?
Zeig niemals deine Furcht, ganz besonders dann nicht, wenn deine Hände feucht vor Angst sind.
Gib niemals zu, wie wichtig dir etwas ist, denn es könnte dir weggenommen werden.
Lenk niemals ein. Gib niemals nach.
Schau nie zurück.
Diese letzte Lektion hatte Simone nicht lernen müssen, Rafael allerdings schon, und er hatte es nie vergessen. Genau genommen hatte diese Einsicht dazu geführt, dass er an einem seiner ersten Abende in Australien, nach viel zu viel Alkohol, genau diese drei Worte in seine Haut einritzen ließ. Nicht, dass er die Tätowierung jemals gesehen hätte, auch wenn mehr als eine Frau ihm bestätigt hatte, dass sie von ausnehmender Schönheit sei. Nicht ein einziges Mal in all den Jahren, die sie seinen Rücken zierte, hatte er einen Blick darauf geworfen.
Rafe schaute nie zurück.
Warum zur Hölle brauchte sie nur so lang?
Er hatte noch eine Million Dinge zu erledigen. Simone Duvalier klarzumachen, wie sie sich während ihres Aufenthalts zu verhalten hatte, zählte nicht dazu. Diese Aufgabe hatte auf seiner Liste für morgen gestanden.
Nicht, dass es ihm etwas ausmachte. Er konnte es genauso gut heute tun. „Pass auf, so wird es laufen“, würde er zu ihr sagen. „Du gehst mir aus dem Weg. Ich gehe dir aus dem Weg. Und du setzt keinen Fuß in mein Haus oder auf mein Land, denn ich will dich dort nicht haben. Niemals. Alles klar?“ Worauf sie mit gesenktem Blick antworten würde: „Ja, kristallklar“, und er würde sich schleunigst aus dem Staub machen, damit er es sich nicht anders überlegen konnte.
Rafe wanderte wie ein gefangener Tiger über die Terrasse, während er überlegte, dass dieses Gespräch nicht länger als drei Sekunden dauern konnte. Als Simone sich endlich dazu herabließ, zu ihm zu stoßen, stand er kurz davor, die Wände hochzugehen. Wie konnte sie nur zehn Minuten brauchen, um ein paar Kleider anzuziehen und sich mit der Bürste durch die Haare zu fahren?
Exakt zehn Minuten später tauchte sie aus dem Bad auf, von Kopf bis Fuß ganz schlichte Eleganz. Sie schaute nicht gen Tür, nein, sie wandte den Kopf in seine Richtung und blickte ihn direkt an, so als hätte sie die ganze Zeit gewusst, dass er dort auf sie warten würde. Dieser schweigende Blick traf ihn wie eine Faust aus Samt.
Gelassen trat sie zu ihm auf die Terrasse. „Ich dachte, dass wir
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