Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
Pfeiftönen die kleine Melodie zu spielen, die sie beim Essen immer gesummt hat. Darüber muss ich lachen und Marta auch, dann muss sie husten und es kommt Blut. Zwischen uns liegt ein Handtuch, mit dem sie es sich von Gesicht und Händen wischt. Draußen erscheinen die Blätter für einen Moment in weißem Licht, der Donner knallt, wie wenn man mit der flachen Hand auf ein Kissen schlägt. Marta schließt den Mund und sieht mich eine ganze Weile lang an. Sie schiebt etwas Flüssigkeit im Mund hin und her, als wolle sie Spucke sammeln, um vom Dach eines Hochhauses zu rotzen. Dann dreht sie sich auf den Rücken, öffnet den Mund und macht mundgroße Blutspuckeblasen. Ein kleines, konzentriertes Blubbern. Martas Mund klappt kurz zu und wieder auf und spannt eine neue Blase, die zerplatzt. Dann wieder eine. Auf und zu. Nach einer Weile schließt sie den Mund und schluckt. Sie sagt: »Der Mount Marta, heute zum letzten Mal aktiv!« Wahrscheinlich verwechselt sie Friesland mit Island, wahrscheinlich sieht Marta Geysire, Fjorde und Vulkane vor sich. Ich halte sie, höre und fühle das Rasseln ihrer Brust, es ist ein dumpfes, breites Vibrieren in meiner linken Hand. Ich bemühe mich, Martas Rhythmus zu halten, den Rhythmus ihrer Atemzüge, sie mitzunehmen in einen ruhigeren Takt. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir so liegen, dieser Zustand ist ein Sog, stärker noch als Marta selbst. Da ist nur meine Sorge, ihr Atem, das Kratzen unter ihren Rippen. Nur wenn es draußen blitzt, erwache ich kurz und heftig und weiß, wo ich bin, wen ich halte. Marta ist schlaff bis in den letzten Winkel ihres Körpers, ohne jeden Widerstand, es ist, als könnte ich in sie hinübergleiten und sie in mich. Ihr Atem wird langsam immer weniger. Marta verschwindet in meinem Arm.
»Jetzt dreh dich um«, flüstert sie tonlos, nach Stunden vielleicht oder Minuten, es ist nur eine winzige Bewegung ihrer Lippen. »Ich will dich in den Arm nehmen.« Sie schiebt das Handtuch vom Bett und nimmt mich in den Arm. Ich spüre ihren nassen Mund in meinem Nacken. Den schwachen, überraschend warmen Atem. Ihr müdes, leeres Pfeifen, das immer leichter wird, bis ich schließlich nichts mehr höre, selbst wenn ich die Luft anhalte. Nur ein winziges, warmes Pumpen in meinem Nacken, und irgendwann ist da nur noch die Nacht vor dem Fenster.
Als ich aufwache, hat Marta mich noch immer im Arm. Sie hält mich fest, sehr fest.
Ich liege da, Martas kalten, harten Arm um mich geschlungen, und traue mich nicht, mich umzudrehen. Da ist der Morgen, das Rauschen der Straße durch die dünnen Fenster. Helles Licht. Mein Atem. Ich höre Schritte von oben. Liviu ist vielleicht schon wach oder er hat Besuch.
Marta schläft sehr fest oder Marta ist tot.
Ich weine. Liege einfach da und weine, mir laufen die Tränen aus den Augen auf das Bett, Martas Bett.
[Hast du mich weinen sehen, Marta?] Ich drehe mich nicht um, ich will nichts sehen, Marta nicht sehen. Will mich nicht verabschieden, dieses Bild nicht in meinem Kopf haben, ich will Marta lebendig in Erinnerung haben. Ich bewege mich nicht. Du darfst sie nicht berühren, denke ich wie dumm. Du darfst den Tod nicht berühren, ihn nicht spüren.
Irgendwann schäle ich mich aus Martas Arm, indem ich die Decke zwischen meine und ihre Haut lege, wie einen Topflappen, und den steifen Arm anhebe, ohne Blick. Ich stehe auf und gehe in die Küche wie gejagt. Ich mache Kaffee. Das ist fünf Minuten nach Marta alles, was ich höre: das Rattern der Kaffeemaschine, hallend in ihrer großen, leeren Küche, um mich herum die Reste der Party, leere Flaschen, Aschenbecher, halb volle Gläser und Pfützen auf dem Boden.
Ich trinke zwei Becher Kaffee im Stehen, ohne Milch, und verbrenne mir den Mund. Ich gehe ins Bad und reibe mir das getrocknete Blut aus dem Nacken. Dann rufe ich meinen Vater an.
Ich packe meine Sachen, ein kleiner Rucksack. Einfach gehen, hat Marta gesagt.
[Einfach gehen, Marta? Wie hast du dir das vorgestellt? Warum hast du mir nicht gesagt, wie es weitergeht ohne dich? Einfach gehen? Einfach vorbei, Marta?]
Ich sehe nicht ein einziges Mal zum Bett, während ich die Sachen aus dem großen Wäschestapel unter dem Fenster ziehe, meine Zahnbürste aus dem Bad hole. Ich überlege, was zu tun ist. Ich rufe einen Arzt an, ohne meinen Namen zu sagen. Ich ziehe meine Schuhe an, setze den Rucksack auf, stehe in der Tür. Dann gehe ich doch noch einmal zurück in Martas Zimmer. Das Handtuch mit den rostbraunen Flecken,
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