Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
gestört wurde.
Zum Beispiel durch Männer wie den schlaksigen Bartträger, der doch tatsächlich unter der Absperrung durchschlüpfte und mit gezückter Kamera auf den Sonnenschirm losging, unter dem der Regisseur, die Regieassistentin und die Choreographin Platz genommen hatten.
»Nur ein Foto!«, rief der Bartträger, wie es Paparazzi rufen, wenn sie einen Promi entdeckt haben, dabei weiß man genau, dass sie solange knipsen werden, bis ihre Digitalkameras glühen.
Keine Chance.
Aus allen Richtungen kamen Ordner angelaufen.
Seifferheld wandte den Blick ab. Er wollte gar nicht sehen, was die Männer mit einem solch unverschämten Störenfried anstellten. Womöglich stellten sie ihn öffentlich an den Pranger vor dem Café am Markt und bewarfen ihn mit ihren Müsliriegeln. Auch gut. Der Übeltäter hatte es nicht besser verdient.
Seifferhelds Blick wanderte automatisch nach links, wo über dem Fischbrunnen der ehemalige Schandpfahl der Stadt an exponierter Stelle prangte.
Ebenfalls links befand sich auch der Eingang zum Rathaus, und so sah er aus den Augenwinkeln gerade noch, wie ein ihm bekannter Mann im barocken Rathaus verschwand.
Stefano Tressler!
Sofort schnappte Seifferheld sich seinen Onis und hinkte hinterher.
Bereits zum zweiten Mal binnen einer Woche betrat er das Gebäude, das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs bis auf die Grundmauern niedergebrannt war, jedoch weitgehend nach den Originalplänen von 1735 wieder aufgebaut worden war. Die prachtvoll gestaltete Eingangshalle war allerdings leer, als Seifferheld eintrat.
Wohin war Tressler verschwunden?
Eigentlich lag die Antwort auf der Hand.
Auf der Übersichtskarte suchte Seifferheld das Büro von Erwin Euler, dem Bürohengst.
Dort angekommen, machte er sich nicht die Mühe anzuklopfen, sondern stieß einfach die schwere, geschnitzte, weiß gestrichene Holztür mit einem Ruck auf.
»Was machen Sie denn hier?«, röhrte Euler.
Es war ein Anblick für die Götter. Wenn Seifferheld gewusst hätte, wie man mit seinem altmodischen Handy Fotos schoss, er hätte eines geschossen.
Hitchcock hätte es nämlich nicht besser inszenieren können.
Vor dem überraschend schlichten Schreibtisch stand Euler, im selben ausgebeulten C&A-Anzug wie am Vortag, mit einem fetten Bündel Geldscheine in der Hand.
Neben ihm Tressler, leicht nach vorn gebeugt, die flinken Wieselaugen hin und her wandernd. Er zog in exakt diesem Moment ein in Samt eingeschlagenes Notizbuch aus seinem Trenchcoat hervor. Das Tagebuch seiner Schwester Salina, wie zu vermuten stand.
Seifferheld hätte beinahe aufgelacht.
»Soso, Herr Tressler, Sie sind jetzt also in das Erpressergeschäft Ihrer Schwester eingestiegen.«
»Herr … äh … Dingelskirchen … es ist nicht so, wie Sie denken«, stotterte Euler, schon sehr viel freundlicher. Wenn er jetzt auch noch Seifferhelds Namen gewusst hätte, hätte er beinahe zivilisiert geklungen. Auf jeden Fall menschlich.
»Es ist genau so, wie ich denke«, widersprach Seifferheld und schloss die Tür hinter sich. Er hatte keine Angst, mit den beiden allein zu sein. Er hatte seine Gehhilfe zur Verteidigung. Und seinen Gefahrhund. Die beiden Männer standen immer noch wie erstarrt.
»Wirklich, das mit Salina, das war eine einmalige Sache. Es hat überhaupt nichts bedeutet!«, versicherte Euler und wischte sich über die schweißfeuchte Stirn.
»Na, hören Sie mal, Sie sprechen hier von meiner Schwester«, echauffierte sich Tressler.
»Ja, ja, regen Sie sich ab. Jedenfalls muss niemand davon erfahren. Die Wähler reagieren bei so was immer gleich über. Meine Frau würde das auch nicht verstehen. Dabei wurde ich nur das willenlose Opfer einer versierten Verführerin. Ich bin unschuldig. Wir sind doch alle Männer, wir müssen doch zusammenhalten!« Euler stand mit dem Rücken zur Wand, bildlich gesprochen, und versuchte es daher mit jedem noch so ausgelutschten Klischee.
Seifferheld hatte ebenfalls Triebe, dennoch hatte er seine Frau in über zwanzig Ehejahren nicht ein einziges Mal betrogen. Mann konnte seine Triebe auch anderweitig austoben. Unter der Dusche. Beim Sport. Beim Zen-Meditieren.
Tressler richtete den Blick nach oben, zur bemalten Stuckdecke, als ob er über Eulers Worte erst mal nachdenken müsste.
Euler merkte, dass er bei Seifferheld auf Granit stieß, und probierte es mit einer anderen Taktik. »Sie verstehen das hier völlig miss, Herr … äh … genau. Herr Tressler und ich haben einfach nur eine geschäftliche
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