Gestohlene Leidenschaft
unmissverständlich. Khalis trank schnell noch einen Schluck Wein, um sich abzulenken. Er wunderte sich maßlos über den Gefühlssturm, den Grace in ihm entfesselte.
„Ja. Sie müssen nämlich wissen, dass Kunsthistoriker der Meinung sind, Leonardo hätte dieses Gemälde nie vollendet. Es gab zwar Gerüchte über das Werk, aber niemand wusste etwas Konkretes.“ Grace wiegte den Kopf, als könnte sie noch gar nicht fassen, was sie mit eigenen Augen gesehen hatte. „Auf diesem Bild ist Leda nicht mit dem Schwan dargestellt, sondern mit ihren vier Kindern: Helena, Pollux, Kastor und Klytämnestra.“ Sie senkte die Lider und wandte sich schnell ab. Khalis wusste, dass sie versuchte, eine tiefe Gefühlsregung vor ihm zu verbergen.
„Wenn Leonardo es nicht vollendet hat, woher wollen die Kunsthistoriker dann wissen, dass es überhaupt existiert hat?“, erkundigte er sich.
„Er hat mehrere Skizzen angefertigt. Die Sage von Leda und dem Schwan hat ihn fasziniert.“
Grace hatte ihm noch immer den Rücken zugekehrt, und Khalis musste dem Impuls widerstehen, sie herumzudrehen und an sich zu ziehen. Allerdings war er sich nicht sicher, ob er sie trösten oder küssen wollte. Am liebsten beides.
„Leonardo ist einer der wenigen Künstler, die Leda als Mutter dargestellt haben und nicht als Geliebte des Zeus.“
„Ihnen scheint das alles sehr nahzugehen“, bemerkte er leise und spürte körperlich, wie ihre Anspannung noch stärker wurde.
Bevor sie sich ihm wieder zuwandte und kühl lächelte, atmete sie einmal tief durch. „Das ist doch auch kein Wunder, oder? Schließlich mache ich nicht jeden Tag so eine wichtige Entdeckung.“
Wortlos schaute er sie an. Ihre Miene war ausdruckslos. Das hat sie lange geübt, dachte er. Hinter dieser Maske verbirgt sie ihre Gefühle. Er wusste das so genau, weil er selbst lange daran gearbeitet hatte, seine Emotionen zu unterdrücken, und dies inzwischen meisterhaft beherrschte, wohingegen Graces Gefühle in ihren Augen sichtbar wurden. Auch die bebenden Lippen verrieten sie.
„Ich meinte nicht die Entdeckung, sondern das Motiv“, erklärte er. „Leda.“
„Sie tut mir wohl einfach leid.“ Bei ihrem Schulterzucken schmiegte sich der Seidenstoff ihres Kleides wie bei einer Liebkosung an ihre üppigen Brüste.
Sein Blick war Grace nicht verborgen geblieben. Unwillig verzog sie das Gesicht und drängte sich an ihm vorbei. „Hatten Sie vorhin nicht behauptet, halb verhungert zu sein? Dann lassen Sie uns jetzt zu Abend essen.“
„Gute Idee.“ Höflich rückte er ihr einen Stuhl zurecht. Nach kurzem Zögern nahm sie Platz. Khalis atmete ihren Duft ein. War es Parfüm oder Shampoo? Jedenfalls duftete es süß und sauber. Irgendwie nach Mandeln. Fasziniert setzte er sich auf den Stuhl gegenüber.
Mit bebenden Händen breitete Grace die Serviette auf dem Schoß aus und ärgerte sich über ihre Nervosität. Woran lag das nur? An dieser verflixten Insel? An der Entdeckung der verschollen geglaubten Gemälde? An Khalis Tannous? Vermutlich war ihre innere Unruhe auf alle drei Ursachen zurückzuführen.
Ihr Gegenüber brachte sie völlig durcheinander. Khalis schien zu spüren, was sie dachte und fühlte. Und wie er sie anschaute! Seine begehrenden Blicke entfesselten Gefühle in ihr, die sie sich strengstens verboten hatte: Sehnsucht nach Zärtlichkeit und sinnliches Verlangen.
Es war ihr unbegreiflich, wie es diesem Mann gelungen war, die so sorgfältig von ihr errichteten Schutzmauern niederzureißen. Sie wusste doch, was passierte, wenn sie einen Mann in ihr Leben ließ. Wenn sie jemandem vertraute. Das konnte nur mit Verzweiflung, gebrochenem Herzen und Verrat enden.
„Erzählen Sie mir etwas von sich, Grace Turner?“, bat er nun mit seiner tiefen, einschmeichelnden Stimme, die so verführerisch und verheißungsvoll klang. Er schenkte Wein nach, bevor Grace es verhindern konnte. Das erste Glas war ihr schon zu Kopf gestiegen. Vielleicht war es aber auch Khalis’ Nähe, die sie schwindlig machte.
„Was möchten Sie denn wissen?“, erkundigte sie sich, um Zeit zu gewinnen.
„Alles.“ Lächelnd lehnte er sich zurück und spielte mit dem Glas in seiner Hand.
Er hat schöne Hände, dachte Grace verträumt und ließ den Blick über ihn gleiten. Welliges blauschwarzes Haar, das geschnitten werden müsste, faszinierende grau-grüne Augen.
Fragend zog er die Brauen hoch. Sie erschrak. Es war ihr peinlich, ihn so unverhohlen gemustert zu haben. Hastig griff sie nach
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