Gestohlene Leidenschaft
Haus.
„Sie sind sehr angespannt, Grace. Ich muss gestehen, dass die Atmosphäre auf dieser Insel auch mir zusetzt. Versuchen Sie, an meine guten Absichten zu glauben. Vielleicht geht es Ihnen dann besser.“
„Warum haben Sie die Gemäldesammlung nicht einfach der Polizei übergeben?“, erkundigte sie sich.
Er lachte bitter. „Hier? In dieser Gegend? Mein Vater mag ja korrupt gewesen sein, aber er war nicht der Einzige. Mindestens die Hälfte der Polizisten in dieser Region haben sich von ihm schmieren lassen.“
„Daran habe ich nicht gedacht“, gab sie leise zu. Noch immer hatte sie ihm den – verspannten – Rücken zugewandt.
„Ich werde Ihnen jetzt verraten, was ich vorhabe. Sowie Sie die Gemälde begutachtet haben, insbesondere die von Leonardo da Vinci, und mir versichert haben, dass es sich um Originale handelt, werde ich die gesamte Sammlung Axis übergeben – mit dem Auftrag, sie den entsprechenden Museen zurückzugeben. Sei es der Louvre, das Metropolitan oder irgendein Provinzmuseum in Oklahoma. Das ist mir völlig egal.“
„Es gibt gesetzliche Regelungen …“
„Ich bin sicher, dass Ihre Versicherung sich buchstabengetreu an diese halten wird.“
Grace drehte sich um und schaute ihn mit ihren großen dunklen Augen an. Der sinnliche Mund war leicht geöffnet. Sie bot ein unglaublich verführerisches Bild, wohl ohne sich dessen bewusst zu sein. Vielleicht lag es daran, dass er schon lange nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war. Jedenfalls fand er Grace Turner faszinierender und anziehender als alle Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Er sehnte sich danach, diese verführerischen Lippen zu küssen oder wenigstens ein Lächeln daraufzuzaubern. Die plötzliche Erkenntnis, mehr für diese Frau zu empfinden als körperliche Anziehungskraft, schockierte Khalis.
„Wie ich vorhin bereits sagte, haben die beiden Gemälde von Leonardo da Vinci nie in einem Museum gehangen“, sagte sie dann.
Erleichtert ließ Khalis sich von seiner überraschenden Erkenntnis ablenken. „Warum eigentlich nicht?“
„Bisher konnte niemand mit Sicherheit sagen, dass sie überhaupt existieren.“
„Wie meinen Sie das?“
„Haben Sie das Motiv der Gemälde erkannt?“
„Irgendwas aus der griechischen Mythologie, glaube ich.“ Er überlegte einen Moment. „Leda und der Schwan?“
„Genau. Kennen Sie die Sage?“
„Ich erinnere mich nur noch dunkel. Der Schwan war doch Zeus, oder? Und er hatte etwas mit Leda.“
„Er hat sie vergewaltigt. In der Renaissance war diese Szene ein beliebtes Motiv in der Malerei und wurde recht erotisch dargestellt.“ Im flackernden Schein der Fackeln wirkte Grace blass und bekümmert. „Es ist bekannt, dass Leonardo da Vinci das eine Gemälde aus dem Keller Ihres Vaters von Leda und dem Schwan geschaffen hat. Eine romantische Darstellung, im Stil anderer Maler seiner Zeit. Mit dem Unterschied, dass dieses Werk von Meisterhand geschaffen wurde.“
„Und doch hat es nie in einem Museum gehangen?“, fragte Khalis ungläubig.
„Nein. Zuletzt wurde es 1625 in Fontainebleau gesehen. Historiker sind der Auffassung, es wurde mutwillig zerstört. Zumindest wurde es beschädigt. Sollte es sich bei dem Gemälde im Keller also tatsächlich um das Original handeln, muss Ihr Vater oder ein Vorbesitzer es zum Restaurieren gegeben haben.“
„Wenn seit 1625 niemand mehr das Bild gesehen hat, wie kann man dann wissen, wie es aussieht?“, fragte Khalis verwundert.
„Es wurden viele Kopien angefertigt, und zwar nach Vorlage der Kopie, die einer der Meisterschüler Leonardos gemalt hatte. Wahrscheinlich kann man es auf jedem Flohmarkt für zehn Euro als Poster erwerben.“
„Im Keller hängt aber kein Poster.“
„Nein.“ Sie begegnete Khalis’ Blick.
Sie hat wunderschöne Samtaugen, dachte er verträumt. Aber warum sind sie so traurig? Zum ersten Mal seit Jahren meldete sich sein Beschützerinstinkt und überwältigte ihn förmlich. Es war ihm völlig unerklärlich, aber er sehnte sich danach, sich um Grace zu kümmern und sie zu beschützen.
„Normalerweise hätte ich angenommen, dass es sich um eine Kopie handelt“, fuhr Grace fort. „Wäre da nicht noch das andere Bild.“
„Das andere Bild“, echote Khalis, der Mühe hatte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, weil seine Gefühle für Grace ihn fest im Griff hatten. Ihre rosig schimmernden Wangen machten diese bezaubernde Frau noch anziehender. Sein Körper reagierte
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