Gestohlene Leidenschaft
Manchmal hatte Khalis das Gefühl, Ammar bedauerte, ihn so behandeln zu müssen. Doch sie hatten nie darüber gesprochen.
Und was war mit Grace? Hatten ihn die Erfahrungen mit seinem Vater und seinem Bruder zu hart und unnachgiebig gemacht? Sollte er ihr und ihm eine zweite Chance geben? Er hatte sie gebeten, ihm alles zu erzählen, damit er ihr Handeln verstand. Doch er hatte es nicht verstanden. Sie hatte den Mut aufgebracht, ihm die Geschichte ihrer Ehe und Scheidung anzuvertrauen, und was hatte er getan? Er war wortlos aus der Wohnung gestürmt. Wie sollte Grace ihm je wieder vertrauen?
Frustriert ballte er die Hände zu Fäusten. Warum war er nur so dumm gewesen? Er musste Grace noch einmal sehen. Vielleicht hatten sie beide doch noch eine Chance.
11. KAPITEL
Viele Kunstfreunde und Wissenschaftler waren der Einladung des Fitzwilliam Museums anlässlich der feierlichen Übergabe der beiden verschollen geglaubten Gemälde Leonardo da Vincis gefolgt und warteten nun auf das Eintreffen des edlen Spenders.
„Sie müssen ja ganz aus dem Häuschen sein vor Freude“, bemerkte einer von Graces ehemaligen Dozenten und reichte ihr ein Glas Champagner. „So bedeutende Werke ganz in der Nähe Ihres Zuhauses.“
„Ja ich freue mich sehr für das Museum“, antwortete sie pflichtbewusst. Sie betrachtete Cambridge nicht mehr als ihr Zuhause. Zwar besaß sie noch das von ihren Eltern geerbte Haus in der Grange Road, aber das war an Gastprofessoren vermietet.
Noch immer zerbrach sie sich den Kopf darüber, was Khalis damit bezweckte, die Gemälde ausgerechnet dem Fitzwilliam zu spenden. Wollte er ihr ein Zeichen geben? Das kam ihr alles sehr mysteriös vor, und sie hoffte, die Antwort von ihm persönlich zu erhalten. Suchend blickte sie sich um, als sie ein Prickeln im Nacken spürte und gleich darauf direkt in Khalis’ Augen sah. Sie deutete das plötzliche Flackern in seinem Blick als Hass und wandte sich bestürzt ab.
Wie zerbrechlich sie in dem grauen Etuikleid wirkt, dachte Khalis besorgt. Ob sie abgenommen hat? Und sie war beängstigend blass. Am liebsten wäre er sofort zu ihr gegangen und hätte sie tröstend an sich gezogen. Doch zunächst musste er den Empfang hinter sich bringen.
Er geht mir aus dem Weg, stellte Grace fest – traurig und erleichtert zugleich. Doch sie spürte seine Anwesenheit während des ganzen Abends, der sich endlos in die Länge zu ziehen schien. Es fiel ihr immer schwerer, höfliche Konversation zu betreiben und freundlich zu lächeln. Von Zeit zu Zeit schnappte sie Wortfetzen von ihm auf und lauschte hingerissen seiner tiefen, melodischen Stimme, die sie heute Abend wohl zum letzten Mal hören würde, denn nun waren alle Kunstwerke verteilt, und es würde keine Empfänge zugunsten des großzügigen Khalis Tannous mehr geben.
Eigentlich hätte Grace darüber erleichtert sein sollen, doch das Gegenteil war der Fall.
Endlich neigte auch dieser Empfang sich dem Ende zu, die ersten Gäste hatten sich bereits verabschiedet und entfernten sich auf der Trumpington Street immer weiter vom Museum. Auch Grace ergriff die Gelegenheit, sich unauffällig zurückzuziehen, solange Khalis noch in ein Gespräch vertieft war.
An der Garderobe nahm sie ihren Mantel in Empfang und eilte hinaus in die regnerische Mittsommernacht. Auf klappernden Absätzen lief sie auf dem nassen Bürgersteig durch den Regen.
Das war’s dann wohl, dachte sie bedrückt auf dem Weg zum Hotel, wo sie sich ein Zimmer genommen hatte. Ich werde ihn nie wiedersehen. Nie wieder mit ihm sprechen. Ihn nie wieder berühren.
„Grace!“
Im ersten Moment glaubte sie zu fantasieren. Jetzt bildete sie sich schon ein, Khalis’ Stimme zu hören!
„Grace!“
Das war keine Einbildung. Langsam drehte Grace sich um. Vor ihr stand Khalis. Pitschnass. Offenbar hatte er seinen Mantel vergessen.
Wortlos schaute sie ihn an. Wütend wirkte er eigentlich nicht. Warum war er ihr gefolgt?
„Bist du auf dem Weg zu deinem Elternhaus?“, erkundigte er sich schließlich, nachdem sie einander eine gefühlte Ewigkeit lang angestarrt hatten.
„Nein, das ist vermietet. Ich übernachte im Hotel.“
„Kehrst du morgen schon wieder nach Paris zurück?“
Sie nickte. „Vielen Dank, dass du die beiden Gemälde dem Fitzwilliam gestiftet hast“, sagte sie leise. „Damit hast du dem Museum eine große Freude gemacht.“
„Ich finde es nur gerecht, dass die Bilder nun hier hängen.“ Er lächelte verlegen. „Der Louvre hat schließlich
Weitere Kostenlose Bücher