Gestohlene Wahrheit
konnte, gab es doch keine Chance, dass Grigg die Sache überleben würde.
»Behe hehe me.«
»Oh Grigg.« Nate schluchzte so heftig, dass er kaum sprechen konnte. »Ich k… kann das nicht. Ich k… kann das nicht tun.«
»Behe.«
Nate legte die Arme um Griggs Hals und wurde geschüttelt von seinem herzzerreißenden Schluchzen und seinen starken Hustenanfällen. Seine gebrochenen Rippen schmerzten höllisch, doch er konnte seiner Trauer einfach nicht Herr werden.
Er konnte das nicht tun. Er konnte Grigg nicht töten. Er konnte nicht damit leben, dass …
Grigg stöhnte, und man hörte ihm seine unvorstellbaren Qualen an, und auf einmal wusste Nate, was er zu tun hatte …
Er richtete sich auf und schnappte schmerzhaft nach Luft, denn Griggs Augen … Großer Gott, sie waren getrübt, weil er derart unermessliche Schmerzen hatte, aber die furchtbare Bitte, die darin lag, ließ sich nicht übersehen. Er flehte Nate an, ihn von seinem Leid zu erlösen.
Nate jaulte einmal laut auf und legte all sein unaussprechliches Leid und seine Wut in diesen Schrei, dann schluckte er schwer und wischte sich die klebrigen, blutverschmierten Tränen aus dem Gesicht. Er sah auf seinen Partner, seinen besten Freund, herab und nickte langsam.
Kurz schloss Grigg seine geschwollenen, blutunterlaufenen Augen. Als er sie wieder aufschlug, waren schmerzliche Resignation und Dankbarkeit an die Stelle der verzweifelten Bitte getreten.
Gott, vergib mir, flehte Nate und ging ans Tischende. Er umfasste Griggs Schädel mit einer zitternden Hand und hielt die harte, tödliche Spitze des KA-BAR mit der anderen an die Schädelbasis.
»Ich liebe dich, du Bastard«, flüsterte er und schluckte das Blut, den Rotz und das unvorstellbare Grauen herunter.
Grigg lächelte.
In diesem Moment, als ein letztes Lächeln auf Griggs Gesicht zu sehen war, drückte Nate die Spitze seiner Stahlklinge zwischen Griggs Schädel und den obersten Wirbel und durchtrennte so das Rückenmark.
Dann war es vorbei.
Nate warf den Kopf in den Nacken und schrie.
Großer Gott!
»Nate!« Ali packte Nates breite Schultern und schüttelte ihn fest. Seine dunklen Haare flogen auf dem dünnen Kissen hin und her. »Nate! Wach auf, um Himmels willen!«
Sie hatte noch nie im Leben ein schrecklicheres Geräusch gehört als das, das gerade aus Nates Kehle gekommen war. Selbst die Schreie ihrer Mutter an jenem furchtbaren Tag, als sie von Griggs Tod erfahren hatten, waren nichts im Vergleich zu dem, was Nate gerade von sich gab. Es klang wie der wütende, hilflose Schrei eines sterbenden Tiers, vermischt mit dem Brüllen eines zornigen Drachen und dem geballten Leid von einhundert Lebensspannen.
Dann hörte das Geräusch auf, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Gott sei Dank.
»Du träumst«, versicherte sie ihm und schnappte verängstigt nach Luft. Ihr war schwindlig, aber das war nicht der richtige Zeitpunkt, um zu hyperventilieren.
Er riss die dunklen Augen auf und sah ihr ins Gesicht. Einen Augenblick lang schien er sie nicht zu erkennen. »Du träumst nur, Nate«, sagte sie erneut und versuchte damit, gleichzeitig ihn und sich selbst zu beruhigen.
Verdammt.
Er schluckte, und sein Adamsapfel bewegte sich langsam in seiner Kehle, an der sein Puls so schnell pochte, dass sie fast glaubte, ihn hören zu können. Seine Nasenflügel flatterten, und einen Augenblick lang sah sie in seinen Augen völlige Verzweiflung … und unbändigen Schmerz. Dann wandte er sich ab und verbarg seine Qualen vor ihr, als wären sie etwas, dessen er sich schämen musste. Er zog sich die dämliche Fischköderdecke bis zur Nase hoch und wischte sich so heftig die Tränen von den Wangen, dass er die oberste Hautschicht wahrscheinlich gleich mit abschabte.
Doch das war sinnlos, denn sie hatte die Tränen längst gesehen. Diese herzergreifenden Tränen …
Sie befürchtete schon, sie bis ans Ende ihres Lebens sehen zu müssen, zusammen mit der furchtbaren, finsteren Emotion, die sie direkt nach dem Aufwachen in seinen Augen erspäht hatte.
»Du, äh … Willst du darüber reden?«, fragte sie, als er wieder unter der Decke hervorkam.
»Nein.« Er drehte den Kopf zur Seite und weigerte sich, sie anzusehen.
»Okay.« Sie stieß die Luft aus und legte ihm zögerlich einen Arm um die Schultern. Zwar reichte ihr Arm nicht bis ganz auf die andere Seite, aber sie drückte sich beruhigend an ihn, so fest sie konnte. Dann legte sie ihre Wange auf seine warme Brust, die sich schnell hob
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