Gestohlene Wahrheit
Geißblattshampoos und der Ivory-Seife auf ihrer Haut roch.
Wo kam nur dieses Summen her? War das das Blut, das ihm gerade in den Kopf stieg?
»Äh …« Was hatte sie doch gleich gefragt? Er schluckte schwer und versuchte, mehr Sauerstoff in seine Lungenflügel zu bekommen, da er zu ersticken glaubte. Bildete er sich das nur ein oder kamen die Wände wirklich näher?
»Das ist doch merkwürdig, findest du nicht auch?«, fragte sie.
Ja, das war alles ausgesprochen merkwürdig. Es war merkwürdig, dass sie hier in Chicago war, dass sie von irgendeinem Agenten verfolgt wurde, dass Grigg sie überhaupt erst in diese Lage gebracht hatte und dass sie halb nackt in seinem Schlafzimmer stand.
In seinem Schlafzimmer!
Es war auch merkwürdig, dass sie ihn gerade so flehend ansah und nicht wie eine Maus, die vor einem hungrigen Adler steht. Er fühlte sich auch sehr, sehr merkwürdig. Fast so, als würde er gleich ohnmächtig werden.
Peng!
Ausgeknockt! Dann würde sie sehen, was für ein Macho er tatsächlich war, nicht wahr?
»Ali …«
»Was?«
Ja, was? Was wollte er ihr sagen?
Verschwinde
, vielleicht?
Zieh dich aus?
Das war schon wahrscheinlicher.
Er schüttelte nur den Kopf. »Ach, nichts.«
»Gehst du jetzt wieder dazu über, den starken, gut aussehenden Schweiger zu spielen?«, erkundigte sie sich und legte den Kopf ein wenig schief.
»Gut aussehend?« Sie fand, dass er gut aussah? Vermutlich sollte ihn das nicht überraschen. Er war zwar kein Brad Pitt, sah aber auch nicht aus wie Quasimodo.
Sie zuckte mit den Achseln. »Natürlich. Dir ist doch klar, dass du irgendwie … ziemlich heiß bist, oder nicht?«
War er das wirklich? Vielleicht früher mal, vor Jahren, als er jung und sorglos und unschuldig gewesen war. Nichts von der Welt wusste. Aber jetzt nicht mehr. Nicht nach all den Jahren im Kampf gegen die Elemente. Nicht nachdem er die Last dessen, was er vor drei Monaten hatte tun müssen, auf seinen Schultern trug. Er fühlte sich wie ein alter Mann.
»Wow.« Sie schüttelte den Kopf und schien wirklich überrascht zu sein. »Du begreifst es wirklich nicht, was?«
»Was begreife ich nicht?«
»Du siehst umwerfend aus.«
»Umwerfend?«
Okay, jetzt war ihm klar, dass sie ihm Zucker in den Arsch blies.
Denn »gut aussehend« konnte er vielleicht noch nachvollziehen. Frauen konnten manchmal seltsamerweise Kleinigkeiten im Gesicht eines Mannes attraktiv finden.
»Heiß« klang für ihn schon ziemlich übertrieben, und »umwerfend«? Oh nein, das war zu viel des Guten.
»Ja.« Sie drückte ihre Zunge von innen gegen die Wange, und ihre Augen funkelten amüsiert, als sie sich näher zu ihm beugte. »Männer können auch umwerfend sein.«
Er lachte, obwohl er sich mächtig zusammenreißen musste. Dann verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und biss die Zähne zusammen, um nicht den Arm auszustrecken und sie zu berühren. Schon an einem guten Tag brachte sie ihn völlig durcheinander. Und jetzt, wo sie so dicht vor ihm stand und eine Hand hob, um sein Gesicht zu berühren? Tja, da hörte sein Gehirn auf, auch nur noch einen vernünftigen Gedanken zu produzieren. Jede einzelne Zelle seines Körpers konzentrierte sich allein darauf, wie sich ihre süßen Finger mit den pinkfarbenen Nägeln anfühlen mochten.
»Nate?«
Wenn sie seinen Namen so sagte, dann konnte er es mit der ganzen Welt aufnehmen. »Hmm?«
»Du hast gerade gelacht.«
»Das tue ich gelegentlich.« Als Grigg noch am Leben war, hatte er ständig gelacht. Dieser nervige Hurensohn hatte sich immer große Mühe gegeben, Nate bei Laune zu halten. Das konnte Ali natürlich nicht wissen. Immer, wenn sie in seiner Nähe war, konzentrierte er sich normalerweise so darauf, keinen Steifen zu bekommen, dass jeder Versuch, auch noch Humor zu zeigen, im Keim erstickt wurde. Doch seit Griggs Tod war ihm das Lachen vergangen, es war mit Griggs letztem Atemzug verschwunden. Doch wenn er Ali in seiner Nähe hatte, fühlte er sich … unbefangener. Durfte er das zulassen? Vielleicht sogar ein kleines bisschen glücklich sein?
»Nate?«
Ach, vergiss es. Er wollte es nicht mit der Welt aufnehmen, wenn sie seinen Namen so sagte, sondern gleich mit der ganzen Galaxis. »Ja?«
»Ich berühre dich.«
Daran bestand kein Zweifel. Der Baseballschläger, den er in seiner Hose zu verbergen suchte, bewies das ziemlich eindeutig. »Das ist mir aufgefallen.«
»Du zuckst nicht zurück. Du tust nicht so, als könnte ich dich mit einer doppelten Ladung
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