Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
antwortete: »Ja, aber sie hat mich einen Idioten geschimpft und ist nicht bereit, den Sender anzurufen.«
»Das wird peinlich.«
»Vielleicht glaubt sie mir, wenn wir in der nächsten halben Stunde ein Geständnis bekommen. Wenn nicht, wird es ihr Problem sein, morgen der Öffentlichkeit zu erklären, dass die Pressekonferenz voreilig abgehalten wurde.«
»Morgen früh wird außerdem in allen Zeitungen stehen, dass Manuel Zöllner der Mörder ist.«
»Auch schon egal, wenn diese Meldung heute über sämtliche Bildschirme gegangen ist.«
»Severin Dogas wird ausrasten.«
»Auch damit muss die Staatsanwältin fertig werden.«
»Kann sein, dass sie danach kein Dogas-Fan mehr ist!«
»Das ist nicht unser Problem.«
»Wetten, doch? Sie wird irgendwie einen Weg finden, die Sache dem Kommissariat Westerland anzulasten. Und danach wird die Zusammenarbeit mit ihr noch schwieriger.«
Das Gras, das unter den Bäumen wuchs, duftete wie die ersten Tage des Sommers, doch hinter dem Zaun, der das Haus des Schriftstellers umfriedete, hatte es längst den Geruch der Reife angenommen, dumpf und holzig. Tove hatte mit energischen Handbewegungen für Platz hinter einem dichten Busch gesorgt und Mamma Carlotta dort zu Boden gedrückt. Unglücklich hockte sie hinter seinem Rücken und fragte sich, wie lange sie so ausharren und ob sie schnell genug wieder auf die Füße kommen würde, wenn Gefahr drohte.
Das Grundstück des Schriftstellers war groß, der Abstand zum Fenster seines Arbeitszimmers betrug sieben oder acht Meter. Es stand offen, Mamma Carlotta konnte Carolin am Computer sitzen sehen, eifrig über die Tastatur gebeugt. Gero Fürst ging im Zimmer auf und ab, erschien häufig am Fenster, viel zu häufig für Carlottas Geschmack, sah dann nachdenklich hinaus, wandte sich wieder Carolin zu und sprach weiter. Anscheinend diktierte er ihr eine längere Passage. Mamma Carlotta fiel auf, dass sein Arm keinen Verband mehr trug. Warum brauchte er eine Schreibkraft, wenn er selbst in der Lage war, seine Manuskripte zu tippen?
»Wie sollen wir Carolina auf uns aufmerksam machen?«, flüsterte Carlotta in Toves Rücken.
Tove zuckte die Schultern. »Wir müssen warten. Irgendwann wird er mal rausgehen, in die Küche oder ins Bad.«
Warten! Zu Carlottas Stärken gehörte geduldiges Ausharren nun wirklich nicht. Mit einem leisen Seufzen ließ sie sich gegen den Baumstamm sinken und überließ Tove das Auskundschaften.
Schon wenige Augenblicke später schreckte sie auf. Leises Motorgeräusch war zu hören, das langsam anschwoll. Kein Zweifel, ein Wagen näherte sich. Mamma Carlotta hielt den Atem an, wollte ihn erst wieder von sich geben, wenn das Auto vorbeigefahren war … Aber dann quietschten Bremsen, und der Motor erstarb direkt vor dem Haus des Schriftstellers. Sie atmete geräuschvoll aus. »Es kommt Besuch«, wisperte sie und reckte den Hals.
»Vielleicht ein Nachbar?«, raunte Tove zurück.
Mamma Carlotta bewegte sich auf allen vieren am Zaun entlang und hoffte, dass außer Tove niemand Zeuge dieser unwürdigen Gangart wurde. Obwohl Tove mit aufgeregten Handzeichen versuchte, sie davon abzuhalten, streckte sie den Kopf aus dem schützenden Gebüsch, als sie eine Stelle erreicht hatte, von wo aus der Hauseingang zu überblicken war. Erschrocken zog sie den Kopf wieder ein und winkte Tove heran. Als er auf sie zukroch, stellte sie befriedigt fest, dass er dabei keine bessere Figur abgab als sie selbst.
»Es ist Valerie«, zischte sie ihm zu.
»Wie kommt die hierher?«, fragte Tove verblüfft zurück.
»Abgehauen, was sonst? Wahrscheinlich hat sie gemerkt, warum Erik zu ihr gekommen ist, und ist getürmt.«
»Aber warum? Sie hat doch mit den Morden nichts zu tun.«
»Vielleicht hat sie Angst, dass sie das nicht beweisen kann«, gab Mamma Carlotta zurück. »Oder sie weiß, dass Gero Fürst der Täter ist. Aber sie will ihn nicht an die Polizei verraten, weil sie ihn immer noch liebt. Und jetzt will sie ihn warnen. Stellen Sie sich vor, sie hat gehört, was Sören herausgefunden hat. Wenn Erik weiß, dass Gero Fürst der leibliche Sohn von Magdalena Feddersen ist, wird er Schlüsse daraus ziehen, das kann sie sich denken.«
»Oder sie will sich bei ihm verstecken«, flüsterte Tove zurück, »weil sie völlig ahnungslos ist. Sie will bei Gero Fürst bleiben, bis sich herausgestellt hat, dass sie unschuldig ist. Und sie hat keine Ahnung, dass sie ausgerechnet bei dem wahren Täter Schutz sucht.«
Mamma Carlotta
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