Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
sie am Nachmittag das Versprechen einlösen musste, das sie Carolin aus purer Not gegeben hatte, so musste sie sich an die Zusage halten, zu der sie überredet worden war. Warum nur hatte sie sich darauf eingelassen?
Als er dem Hotel Feddersen den Rücken kehrte, beschloss Erik, einen Besuch an Lucias Grab zu machen. Der Dorfteich, die Kirche und der Friedhof waren nicht weit. Er stellte den Wagen in der Nähe ab, stieg aus und blieb eine Weile stehen. Der Blick über den Dorfteich tat ihm gut. Häufig ließ er sich zunächst vom Frieden über dem kleinen See einlullen, ehe er zu Lucias Grab ging. Noch immer brauchte er Kraft für diesen Weg, noch immer fand er keinen Trost vor dem Stein, der Lucias Namen trug.
Leichter fiel ihm das Gedenken dort, wo sie gelebt hatte, wo sie immer noch gegenwärtig war. Wenn er vor ihrem Grab stand, konnte er nicht an die Liebe denken, die sie ihm geschenkt hatte, nicht an ihr Lachen, ihre Fröhlichkeit, dann konnte er nur an den letzten Blick auf ihr Gesicht denken, ehe der Bestatter den Sargdeckel schloss.
Trotzdem ging er häufig zu ihrem Grab, im Sommer allerdings seltener als im Winter. Wenn die Sonne schien, wenn sich ein wolkenbetupfter Himmel über Sylt stülpte, wenn die Heckenrosenwälle in Blüte standen, wenn die Luft salzig war und der Regen bitter, dann quälte ihn noch immer das Aufbegehren. Erst wenn die Tage grau wurden, konnte er den Gedanken an den alkoholisierten Lkw-Fahrer aus Flensburg aushalten, den er einmal weinend an Lucias Grab angetroffen hatte.
Er zupfte ein paar welke Blätter von den Geranien, die er im Mai gepflanzt hatte. Ach, Lucia, Valerie hat sich sehr merkwürdig verhalten. Unfreundlich war sie, regelrecht abweisend. Du kanntest sie besser als ich. Hättest du dir einen Reim drauf machen können?
Zunächst hatte sie ihn liebenswürdig empfangen. Einen weißen, schwingenden Rock trug sie und ein blaues Top mit Spaghettiträgern. Aber als sie hörte, dass er gekommen war, um Fingerabdrücke zu nehmen, war es mit ihrer Freundlichkeit vorbei gewesen.
»Du behandelst uns wie Verdächtige!«
Erik erklärte ihr geduldig, dass er die Fingerabdrücke nicht brauchte, um sie und ihren Mann zu überführen, sondern um die Fingerabdrücke des Täters erkennen zu können, falls er welche hinterlassen hatte. »Von allen Personen, die Magdalena Feddersen regelmäßig besucht haben, nehmen wir Fingerabdrücke. Wie sollen wir sonst die Abdrücke des Täters erkennen? Alle Abdrücke, die nicht identifiziert sind, vergleichen wir mit den Abdrücken in unserer Kartei. Vielleicht bekommen wir dadurch den entscheidenden Hinweis.«
Mathis stand auf Eriks Seite. »Es ist doch nett, Valerie, dass er uns den Weg zum Polizeirevier erspart.«
Aber Valerie war noch immer kein Lächeln abzuringen. Nur mürrisch war sie seinen Anweisungen gefolgt und hatte ihm zehnmal gezeigt, bei jedem einzelnen Finger, wie wenig es ihr gefiel, dass er ihn über das Farbkissen rollte. Nicht einmal die Nachricht, dass ihr Auto gefunden worden war, konnte sie aufheitern.
War sie immer schon so komisch, Lucia? Warum konnte sie sich nicht freuen?
»Mein Wagen ist gefunden worden? Aber … du hast gesagt, dass die meisten gestohlenen Autos nicht wieder auftauchen!«
Erik hatte lächelnd genickt. »Die meisten! Aber wie man sieht, nicht alle.«
Als er ihr erschrockenes Gesicht sah, nahm er sich vor, Rudi Engdahl zu fragen, ob der Wagen aufgebrochen worden war. Vielleicht hatte Valerie vergessen, ihn abzuschließen, und war nun in Sorge, dass die Versicherung nicht zahlte? Wenn das so war, dann konnte er vielleicht dafür sorgen, dass dieser Umstand im Protokoll nicht erwähnt wurde.
Lucia, ich werde aus Valerie nicht schlau. Als sie hörte, dass der Autodieb gefasst worden und geständig war, wurde sie ganz blass. Warum? Ich habe sogar gesehen, dass ihre Hände zitterten. Und sie wollte ganz genau wissen, was der Dieb ausgesagt hat.
»Wo hat er mein Auto gestohlen?«
Erik hatte sie erstaunt angesehen. »Wieso fragst du das? Du weißt es doch.«
Selbstverständlich hatte die Aussage des Diebes sich mit sämtlichen Angaben Valeries gedeckt. Er hatte den Wagen in Niebüll in einer Reihenhaussiedlung am Stadtrand gestohlen. Genauere Angaben konnte er zwar nicht machen, aber das war ohne Bedeutung. Diese Angaben hatte Valerie gemacht, und Kurt Fehring hatte zu allem genickt.
Erik wandte sich von Lucias Grab ab und ging den Weg zurück. Er hatte gespürt, dass Oles Erscheinen Valerie
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