Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
eine andere Art von Doppelleben geführt. Gero Fürst hat in einem seiner Romane eine Frau beschrieben, die nach außen ein ganz unauffälliges Leben führte. Aber in Wirklichkeit war sie eine Nutte.«
Mamma Carlotta verschluckte sich vor Empörung. »Du willst behaupten, Donata Zöllner war mit einer … einer unanständigen Person befreundet?«
»Für so was war die doch viel zu alt!«, rief Felix.
»Oder ihr Charakter hat sich verändert.« Carolin ließ sich nicht von ihrer Fährte fortlocken. »In Gero Fürsts Debütroman gab es einen Mann, der nach einem Lottogewinn ein todunglücklicher Mensch wurde. Er konnte nicht mehr lieben, weil er niemandem mehr vertraute.«
»Gero Fürst!« Erik sah seine Tochter kopfschüttelnd an. »In deinem Alter habe ich für Rockmusiker geschwärmt und nicht für Romanschreiber.«
»Du bist ja auch kein Schriftsteller geworden, sondern Bulle«, schnappte Carolin zurück.
Mamma Carlotta versuchte, den drohenden Streit zu unterbinden, indem sie den beiden Kontrahenten von ihren Bemühungen erzählte, bei Feinkost Meyer Feigen zu erwerben, die zwar angeliefert worden waren, aber noch nicht den Weg in die Obst- und Gemüseabteilung gefunden hatten. »Der Filialleiter persönlich hat sie mir aus dem Lager geholt.«
Aber ihr Ablenkungsmanöver misslang. Carolin schwieg nur so lange, bis ihre Großmutter mit ihrer Geschichte fertig war, dann erzählte sie, dass sie Gero Fürst vor ein paar Tagen in Westerland gesehen hatte. »Und die Nonna hat versprochen, mit mir zu seinem Haus zu fahren«, erzählte sie ihrem Vater.
Erik sah seine Tochter entgeistert an. »Was wollt ihr denn da?«
»Ihn bitten, seine Bücher zu signieren. Ich habe alle Gero-Fürst-Romane.«
Mamma Carlotta sprang auf, um sich um das Wohlergehen der Polentataschen zu kümmern, aber dem strafenden Blick ihres Schwiegersohns entging sie trotzdem nicht. »Ihr könnt dem Schriftsteller doch nicht auf die Pelle rücken!« Vorwurfsvoll sah Erik seine Schwiegermutter an. »Wie kannst du das Kind in diesen Ideen auch noch unterstützen?«
Mamma Carlotta wand sich. Wie sollte sie Erik das erklären? Wenn er nichts von ihrer Nacht in Kemmertöns’ Garten erfahren sollte, dann musste sie ihr Versprechen einlösen.
Sie versuchte Carolin ein zuversichtliches Lächeln zu schenken. »Schriftsteller sind auch nur Menschen! Wenn Gero Fürst stundenlang allein an seinem Schreibtisch gesessen hat, wird er sicherlich froh über ein bisschen Abwechslung sein. So ein Schriftsteller muss doch den Kontakt zu seinen Lesern halten. Wie kann er über Menschen schreiben, wenn er nicht mit Menschen spricht?«
Sie brauchte Erik nicht anzusehen, um zu wissen, dass sein Gesicht wieder diesen Ausdruck trug, der es der italienischen Verwandtschaft so schwer machte, ihn als einen der ihren zu akzeptieren.
Seufzend trug sie die Minestrone auf. Anscheinend blieb ihr nichts anderes übrig, als in den nächsten Tagen mit Carolin zum Haus von Gero Fürst zu fahren. Aber vielleicht ließ sich die Angelegenheit eine Weile aufschieben, bis Carolin den Plan vergessen hatte oder im Inselblatt zu lesen war, dass Gero Fürst soeben zu einer Lesereise aufgebrochen war?
»Am besten, wir fahren gleich heute Nachmittag hin«, sagte Carolin.
Carlotta seufzte noch einmal. Nun blieb nur noch zu hoffen, dass Gero Fürst nicht zu Hause war oder ihnen einfach nicht öffnete. Vielleicht war es aber auch ganz gut, sich am Nachmittag Ablenkung zu verschaffen? Dann würde sie nicht an das denken müssen, was ihr in der Nacht bevorstand.
Sie warf Erik einen Blick zu. Ob er ihrem Gesicht ablesen konnte, dass sie etwas vorhatte, was er niemals billigen würde? Nein, er vertiefte sich gerade in ein Gespräch mit Sören, in dem es um ein Mordmotiv ging, das nichts mit Geldgier zu tun hatte. Von Rache sprachen sie und von Neid. Aber nach Anhaltspunkten für diese Motive suchten sie vergeblich.
Mamma Carlotta wünschte sich, Erik möge am Abend die Haustür verschließen, den Schlüssel abziehen und in seine Schlafanzugjacke stecken. Dann würde sie Donata Zöllner am nächsten Tag sagen können, dass es ihr unmöglich gewesen sei, das Haus zu verlassen. Sie hätte ihr gern geholfen, naturalmente, aber es war ihr einfach nicht möglich gewesen.
Carlotta Capella hatte noch nie so oft geseufzt wie während dieser Mahlzeit. Sie wusste ja, dass Erik niemals den Schlüssel abzog. Nein, es gab wohl kein Entrinnen vor dem Plan, den Donata Zöllner geschmiedet hatte. So, wie
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