Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
wenig ausruhen, bevor ich weiterfahre.«
»Dann ist es wohl besser, ich bringe Sie nach Hause«, sagte Fietje und sah Mamma Carlotta so ernst an, als hätte er ihr jedes Wort geglaubt. »Wo steht Ihr Rad? Ich werde es schieben.«
»Vielleicht hat er mir wirklich geglaubt«, murmelte sie, während sie ihren Espresso schlürfte. »Mir scheint, ich war sehr überzeugend.«
Aber wenn sie daran dachte, dass sie in wenigen Minuten Donata Zöllner schildern musste, warum sie in der Nacht ihren Posten aufgegeben hatte, verlor sie ihre Zuversicht wieder. Nein, Fietje hatte ihr vermutlich kein Wort geglaubt. Er war ein Gentleman gewesen, diskret und rücksichtsvoll. Wenn Tove zu hören bekäme, dass Mamma Carlotta Fietje einen Gentleman nannte, würde er vermutlich vor Lachen die Fischfrikadellen anbrennen lassen, aber sie blieb dabei: Fietje, der Spanner, war einfühlsamer, als es den Anschein hatte, wenn er in Käptens Kajüte saß und sein Jever trank. Was mochte er vorher für ein Mensch gewesen sein, als er noch nicht darauf angewiesen war, sein Leben im Leben anderer zu finden?
Sie erhob sich. Der Espresso war getrunken, es gab keinen Grund mehr, den Anruf bei Donata Zöllner hinauszuzögern. Sie konnte nur hoffen, dass Donata Verständnis für ihre Entscheidung haben würde. Was hätte sie auch tun sollen? Etwa Fietje erklären, dass sie neben dem Rhododendronbusch Schmiere stand? Sie hätte sich doch verdächtig gemacht, wenn sie nicht bereit gewesen wäre, in Fietjes Begleitung nach Hause zurückzukehren! Donata würde ihr Verhalten verstehen, sie musste einfach.
Carlotta ging zum Telefon und wählte die Nummer des Hotels Feddersen. Sicherlich machte sie sich ganz umsonst Sorgen. Donata würde glücklich sein, dass sie nun endlich in Händen hielt, was ihre Freundin Magdalena ihr geben wollte. Und wenn sie sich um Mamma Carlotta Sorgen gemacht hatte, dann würden die nun zerstreut werden, und sie konnten gemeinsam über ihre Ängste lachen und sich am Erfolg der Unternehmung freuen.
Tove Griess sah erstaunt auf, als sie Käptens Kajüte betrat. »Um diese Zeit waren Sie ja noch nie hier.«
Mamma Carlotta schob sich auf einen Hocker und sah Tove unglücklich an. »Glauben Sie, dass es Sünde ist, um diese Uhrzeit schon Rotwein zu trinken? Ich habe gelernt, dass man Alkohol erst trinken darf, wenn die Sonne untergegangen ist.«
»Rotwein ist niemals Sünde«, antwortete Tove mit Bestimmtheit. »Zu keiner Tageszeit.«
»Auch, wenn man einen klaren Kopf haben muss?«
»Manche haben nur dann einen klaren Kopf.«
Mamma Carlotta überlegte kurz, kam dann aber zu der Überzeugung, dass sie nicht zu diesen Zeitgenossen gehörte, und bestellte stattdessen einen Cappuccino. »Ist Fietje nicht da?«
Tove schüttelte den Kopf. »Er hat nur sein Frühstücks-Jever getrunken und ist dann zu seinem Strandwärterhäuschen. In der Hochsaison muss er pünktlich sein.« Sein Blick wurde misstrauisch. »Was wollen Sie von ihm?«
»Nichts!«, antwortete Mamma Carlotta schnell, und das war die reine Wahrheit. Tatsächlich wusste sie nicht, was sie zu Fietje gesagt hätte, wenn er in Käptens Kajüte anzutreffen gewesen wäre. Dennoch hätte sie gern mit ihm geredet, ganz unauffällig das Gespräch auf die letzte Nacht gebracht und ihn leise gefragt, ob er etwas beobachtet hatte. »Ich wollte ihm nur Guten Morgen sagen.«
»Davon wäre sein Morgen nicht besser geworden. Er sah ganz schön zerknittert aus. Ich glaube, der war in der letzen Nacht gar nicht im Bett. Hoffen wir mal, dass heute nichts passiert am Strand. Wenn doch – Fietje wird es nicht verhindern. Der hält in seinem Strandwärterhaus erst mal ein Schläfchen. Wetten?«
Tove stellte ihr den Cappuccino hin und streute noch etwas Kakao auf den Milchschaum. Über sein zerfurchtes Gesicht ging ein Lächeln, das in die Falten seiner Augenwinkel sprang und im nächsten Augenblick wieder verschwand. »Sieht das jetzt so aus wie in Ihrer Heimat?«
Auch Mamma Carlotta gelang ein kleines Lächeln. »Perfetto, Capitano!«
Nachdenklich löffelte sie den Schaum von ihrem Cappuccino, während Tove einen weiteren produzierte, den er einer vollschlanken Dame auf den Tresen stellte, die über ihr knappes Bikinihöschen nur ein hauchzartes Tuch geschlungen hatte. Mamma Carlotta brachte trotz ihrer schweren Gedanken ein missbilligendes Kopfschütteln zustande. Dann löffelte sie weiter und löffelte auch noch, als es auf dem Cappuccino längst keinen Schaum mehr gab. Wortlos
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