Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
giftig?«, wollte Karl wissen.
»Kann sein, aber hier geht es ums Prinzip. ›Wer nichts verschwendet, dem wird auch nichts fehlen‹, wie das Sprichwort lautet. Außerdem wird das Fleisch Coeo ernähren, und der ist doch schließlich einer von uns, oder?« Sie hob eine Augenbraue.
»Na gut«, sagte Karl. »Aber lass uns nicht rumtrödeln, ja? Die Viecher beäugen uns, als würden sie sich fragen, wie wir wohl schmecken.« Zwei der Dauskalas schlangen die Eingeweide ihres toten Artgenossen in sich hinein, während zwei andere, die nicht an den Kadaver herankamen, die Blicke immer wieder hungrig zwischen ihm und dem Glamurbakjungen hin und her pendeln ließen, als überlegten sie, was davon die lohnendere Beute war.
Bera erschauderte. »Vom Verstand her weiß ich, dass sie eine äußerst wichtige Aufgabe in diesem Ökosystem erfüllen. Aber mein Gefühl schreit mir zu, jeden Einzelnen von diesen Bastarden umzubringen.«
Coeo kaute auf einem weiteren Bissen Glamurbakfleisch herum. Er bot Karl ein Stück an, doch der schüttelte den Kopf. Ich mag auf dieser barbarischen Dreckkugel von einem Planeten ja gezwungen sein, Fleisch zu essen, aber ein gegartes Stück Fleisch von einem Tier, dessen Tod ich nicht mitansehen musste, ist eine Sache. Rohes Fleisch von einem niedlichen kleinen Jungen, das sich noch vor wenigen Minuten seines Lebens erfreut hat, ist wieder etwas ganz anderes. Eine Sichtweise, der sich Bera, wie er vermutete, nicht anschließen würde.
Sie setzten ihren Marsch fort und durchquerten eine von niedrigen Hügelketten durchzogene Landschaft, die mit immer größeren Felsbrocken durchsetzt waren. Der Sand, der bisher den Boden bedeckt hatte, ging zunehmend in feine Kieselstellen über, die sich ihrerseits wiederum mit jeder weiteren Bodenwelle in zunehmend größeres, glatt geschliffenes Geröll verwandelten.
Von Zeit zu Zeit bebte die Erde. Zu beiden Seiten ihres Weges stieg in der Ferne Rauch auf. »Je weiter wir uns von den Bergen entfernen, desto häufiger scheinen die Beben zu werden«, bemerkte Karl.
Bera zuckte die Achseln. Sie war schon den ganzen Morgen über verständlicherweise gedrückter Stimmung gewesen. »Es gibt kein einheitliches Muster, was Isheimurs Erdbeben betrifft. Teilweise grenzen Gebiete mit stärkerer und schwächerer Aktivität dicht aneinander. Wir nehmen an, dass die ständigen leichten Beben wie ein Sicherheitsventil wirken und so verhindern, dass es zu richtig großen Vulkanausbrüchen kommt, mit denen man sonst rechnen müsste.«
Karl nickte. Und das Ausbleiben dieser großen Vulkanausbrüche war dafür verantwortlich, dass so wenig Kohlendioxid in der Atmosphäre freigesetzt wurde.
Ein Schrei Coeos, der ihnen vom Kamm einer der zahllosen niedrigen Hügelketten her hektisch zuwinkte, riss ihn aus seinen Gedanken. Karl rannte die Böschung hinauf.
Der Anblick, der sich ihm auf der anderen Seite bot, war atemberaubend
Am Rande der Wüste vor ihm lag ein gefrorener See. Das Felsgeröll erstreckte sich bis an sein Ufer. »Gute Güte …«, war alles, was er hervorbrachte.
»Jokullag«, sagte Bera, die ihm gefolgt war. »Der Ort, wo – sofern die Saga von der Winter Song wahr ist – die Sterne vom Himmel gefallen sind.«
Bei genauerem Hinsehen stellte Karl fest, dass der schmutzig graue Rand der Eisdecke von Wasser umspült wurde, aber schon zwei Meter vom Ufer entfernt war das Eis kompakt. Sein strahlendes Weiß bildete einen scharfen Kontrast zum Braun der Wüste. Auf der anderen Seite des Sees stiegen Hügel zu schneebedeckten Bergen an, aus deren Tälern sich Gletscher in die Ebene hinabschoben. Die Eisdecke reflektierte Gamasols Licht wie ein Blendspiegel.
»Krishna!«, flüsterte Karl. Auch auf den sechzig bis siebzig anderen Welten, die er bisher besucht hatte, hatte er kaum etwas Schöneres zu Gesicht bekommen.
»Jeder sollte das einmal gesehen haben«, sagte Bera leise.
»Das ist nichts für mich«, erwiderte Karl, immer noch flüsternd. »Es ist einfach zu wild, zu ungezähmt … zu furchteinflößend.« Er fragte sich, ob er damit eher Bera oder sich selbst überzeugen wollte.
Sie beschlossen, den See zu umrunden, statt ihn zu überqueren. »Das Eis würde uns die Wärme wie ein Schwamm aus den Füßen saugen«, sagte Bera.
Auch am Ufer war der über das Eis wehende Wind immer noch bitterkalt, und selbst Karl, der durch seine genetische Optimierung extrem belastbar war, begann schon bald wie Bera von Kopf bis Fuß zu zittern. Er fragte sich erneut,
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