Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
Trainingspensums blieb Karl einen Moment lang neben dem Trimmrad stehen. »Danke«, sagte er mit einem Nicken in Ragnars Richtung.
Eine Gesichtshälfte Ragnars war immer noch gelähmt, und er lallte so sehr, dass er sich nur mit Mühe verständlich machen konnte. »Du treibst ein gefährliches Spiel, Gothi«, grollte er mit einem schiefen Grinsen, als Orn außer Hörweite war.
»Das ist kein Spiel«, erwiderte Karl. »Was ich Orn gesagt habe, war ernst gemeint. Ich bin nicht der Typ, der es fer tigbringt, Meuterer aus der Luftschleuse zu werfen. Alles, was ich tun kann, wenn jemand einen meiner Befehle verweigert, ist, ihn aus der Gemeinschaft auszustoßen.«
»Womit du ihn zum Gesetzlosen machst«, gab Ragnar zu bedenken. »Eine Taktik, die früher oder später auf dich zurückschlägt.«
»Mag sein.«
»Ich habe die Aufzeichnungen der Mannschaft entdeckt«, meldete Loki am fünften Tag.
»Was hat dich so lange aufgehalten?«, fragte Karl nur halb im Scherz.
»Viele der Dateien sind beschädigt. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Beschädigungen die Ursache für die Angriffe des Bordrechners auf uns gewesen sind, oder ob der Idiot einen großen Teil der Datensätze gelöscht hat, um uns den Zugriff darauf zu verwehren.«
»Warum sollte er so etwas tun?«
»Ich vermute, dass es eine Art elektronische Politik der verbrannten Erde gewesen sein könnte. Wenn der Rechner uns schon nicht daran hindern konnte, das Schiff zu übernehmen, wollte er uns wenigstens möglichst viele Informationen vorenthalten.«
»Und was hast du aus den Aufzeichnungen erfahren?«
»Die Besatzung hatte ursprünglich gehofft, mit der Sardar – wie sie die Winter Song genannt hat – wieder ins All zu fliegen. Deshalb hat sie die Treibstofftanks mit Wasser gefüllt, als der See noch nicht gefroren war, und verfügt, dass keinerlei Dinge, die für einen späteren Raumflug erforderlich waren, aus dem Schiff entfernt werden durften.«
»Hah!«, stieß Karl überrascht hervor. Das erklärte den Zustand, in dem sie die Winter Song vorgefunden hatten. »Ist das schon alles?«
»Nein, da gibt es noch einiges mehr. Nachdem den Leuten klar geworden war, dass es ihnen höchstwahrscheinlich nicht gelingen würde, irgendeine andere Zivilisation zu erreichen – denn das war das eigentliche Problem, nicht, das Schiff wieder ins All zu bringen –, weil sie um Lichtjahre von ihrem ursprünglichen Kurs abgekommen waren und sich hoffnungslos verirrt hatten, haben sie eine Entscheidung getroffen.
Sie beschlossen, Coeos Vorfahren so gut wie irgendwie möglich an die hiesigen Umweltbedingungen anzupassen, ohne das Schiff dabei zu opfern. Dadurch wurde es für ihre Nachkommen zu einem Objekt der Verehrung. Möchtest du alles Weitere hören? Die persönlichen Aufzeichnungen des Kommandanten und seiner Mannschaft, als sie langsam erfroren, verhungerten oder in der dünnen Luft erstickten? Bevor einer nach dem anderen seine letzte Reise antrat, die sie ›die lange Wanderung‹ nannten?«
»Nein danke«, wehrte Karl ab. »Wie lange haben sie durchgehalten?«
»Lange genug, um im Eiltempo die erste Generation von Coeos Vorfahren zu erschaffen und ihnen so viel wie möglich beizubringen. Der letzte Überlebende hat sich nach vier Jahren auf ›die lange Wanderung‹ hinaus in den Schnee begeben.«
Karl atmete langsam aus, während er sich vorzustellen versuchte, wie sich dieser letzte Kasache gefühlt haben musste – ganz allein unter völlig fremdartigen Nachkommen. »Häng ihre Aufzeichnungen an den permanenten Notruf an«, sagte er. »Ihr Schicksal soll nicht in Vergessenheit geraten.«
»Einverstanden«, erwiderte Loki. »Die Berichte erklären übrigens auch eine Merkwürdigkeit hinsichtlich der Nanoschmiede.«
»Und zwar?«
»Sie wurde so konfiguriert, dass sie organische und anorganische Materialien voneinander abgrenzt, weshalb die eine Form nicht in die andere umgewandelt werden kann. Diese Beschränkung ist systemimmanent und der Grund dafür, warum die Besatzung das Schiff nicht vollständig ausgeschlachtet hat. Und weshalb es Orn solche Schwierigkeiten bereitet, die Anlage dazu zu bringen, bestimmte Befehle auszuführen.«
»Du meinst also, sie wird nie aus einer Tür ein Steak machen oder umgekehrt?«
»Genau. Was die Menge der Nahrungsmittel beschränkt, die ihr für die Zeit nach der Landung herstellen könnt.«
Karl blickte sich nach Arnbjorn um und entdeckte ihn am anderen Ende der Brücke. Ragnars Sohn hatte sich einen
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