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Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song

Titel: Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Harvey
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Schwiegertochter statt seine eigene Tochter um Rat fragte, aber von Asgerd würde er die ehrlichere Antwort bekommen. Als Frau seines Erben hatte sie weniger Grund, ihm die Antwort zu geben, die er hören wollte , und würde ihm stattdessen das sagen, was er wissen musste .
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Ich denke, sie hat ihre Lektion gelernt.«
    »Die Beine zusammenzuhalten? Oder nicht schwanger zu werden, wenn sie es mit ihm treibt?«
    »Ich denke, dass er noch weit davon entfernt ist, es mit irgendwem zu treiben«, erwiderte Asgerd und verstummte, als Hilda aus der Spülküche zurückkehrte und ihnen einen fragenden Blick zuwarf.
    »Ich schätze, ich sollte unserem Gast einen Besuch abstatten«, sagte Ragnar.
    Als er die Scheune betrat, vertilgte der Fremde bereits die letzten Brocken des Fleischberges, den Hilda ihm auf Ragnars Anweisungen hin gebracht hatte. »Meinst du nicht, dass ihm schlecht werden wird, wenn er so viel Fleisch isst?«, hatte Hilda ihn gefragt, sich nach einem Blick in sein Gesicht jedoch jede weitere Bemerkung erspart.
    Der Fremde hatte sich augenscheinlich wieder etwas erholt, wenn auch nur körperlich. Geistig dagegen … Er starrte aus nahezu unglaublich hellblauen Augen ins Nichts, während er aß und Beras belangloses Geplapper über den letzten Tratsch ignorierte. Als er Ragnar bemerkte, huschte ein verschlagener Ausdruck über sein Gesicht.
    »Wie heißt du, Bursche?«, fragte Ragnar.
    Der Mann wandte den Blick ab, seine Augen folgten einer Bachstelze, die durch die Giebelstreben schoss, sein Kopf und Körper wiegten sich zu einem unhörbaren Rhythmus hin und her.
    »Hey, ich rede mit dir!« Ragnar packte den Mann am Arm. Wie ausgezehrt Allman auch wirkte, sein Arm schien nur aus Muskelsträngen zu bestehen. Ragnar fühlte, wie es in den Tiefen des Armes zuckte, als litte der Mann unter den Nachwirkungen eines Krampfes. War er vielleicht geistig behindert? Ein Irrer, der seiner Zelle entkommen war? Doch es gab keine Siedlungen zwischen hier und Althfjord, dem nächsten Gehöft in der Richtung, wo sie ihn gefunden hatten. Wie also war er dort hingekommen?
    Ragnar verabscheute es, sich allzu häufig solche Fragen zu stellen, denn die Antworten, auf die er dabei immer wieder stieß, gefielen ihm ganz und gar nicht. Es würde ihm nichts ausmachen, dass er sich geirrt hatte, sollten die Gründer der Kolonie zurückkehren. Solange das in angemessener Form geschah und nicht in Gestalt eines sabbernden Idioten.
    Aber bevor er weitersprechen konnte, hatte sich Allman unsicher aufgerichtet und schwankte, als stünde er in einem unfühlbaren Sturm, das Gesicht von Qualen gezeichnet. Und dann begann er, vor sich hin zu plappern. Ragnar benötigte ein paar Sekunden, um die Worte zu identifizieren.
    »Das ist nicht Isheimurisch!«, rief Bera und versuchte, Allman aufzufangen, als seine Beine wieder nachgaben und er umkippte.
    »Es ist Hochisheimurisch«, sagte Ragnar. »Unsere Allgemeinsprache ist degeneriertes Englisch mit etwas Isländisch vermischt, so wie es gesprochen wurde, als die Siedler Nytt Ragnarök aufgegeben haben. Es unterscheidet sich kaum von dem Hochisheimurisch aus der Zeit vor der Diaspora. Das hier ist richtiges Altnordisch aus dem terranischen Mittelalter … Er rezitiert Strophen aus Egils Saga .«
    Altnordisch derart fließend gesprochen zu hören, zerstreute jeden Gedanken daran, es könnte sich bei dem Fremden um einen Utlander handeln. Nytt Ragnarök war ein Jahr, bevor die Vorräte zur Neige gegangen waren, während eines der ersten Überfälle, die sich schließlich zu einem allumfassenden Krieg ausgewachsen hatten, in Flammen aufgegangen.
    Der Blick des Fremden blieb an Ragnar hängen.
    »Ich frage mich, ob du vielleicht ein umherziehender Seher bist«, sagte Ragnar. »Denn wenn ja, kann ich dich kaum für mich arbeiten lassen, außer dich darum zu bit ten, deinen Beitrag an der Arbeit für deine Kost und Logis zu leisten.« Als Seher würde der Mann im Gegensatz zu einem Verbrecher offiziell außerhalb der Gesetze stehen. Ragnar konnte keinen Seher wie einen Hörigen auf dem Hof festhalten, einen Fronarbeiter – oder Sklaven, wie einige dieser sentimentalen Reformer die Hörigen nannten.
    Ohne Vorwarnung wurde der Mann ohnmächtig.
    Ragnar schüttelte ungläubig den Kopf.
    Sekunden später öffnete Allman übergangslos wieder die Augen. »Du? Hässlich wie die Nacht?«
    Das Frösteln, das Ragnar verspürte, hatte nichts mit der kühlen Witterung zu tun. Sein

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