Gestrandet
In ihrer bisherigen Vorstellung war er immer das Oberhaupt der Raumpiraten gewesen – ein Mann, der sich nahm, was er wollte. Jetzt verstand sie ein wenig besser, warum er diesen Weg beschriften hatte.
»Was spielte das kurze Leben von Fremden für eine Rolle, wenn das eigene Volk starb?« sagte Kes. »Warum Rücksicht nehmen, wenn man Weisheit und die eigene Welt nicht an zukünftige Generationen weitergeben kann?«
Aren drehte ruckartig den Kopf und musterte Kes. Er fand nicht den geringsten Hinweis auf Sarkasmus und entspannte sich. »Du verstehst«, staunte er.
»Ich verstehe, warum Sie sich für das Leben entschieden haben, das Sie jetzt führen«, erwiderte Kes. »Das ist etwas anderes.«
»Ich habe den Rhulani wieder Hoffnung gegeben«, sagte Aren, trat durchs Wasser und näherte sich der Ocampa.
»Diejenigen, die sich uns anschlossen, wurden stark durch mich. Wir Ja’in sind der wichtigste Machtfaktor in diesem Raumsektor, Kes.« Er lachte kurz. »Wußtest du, daß man sich Geschichten über uns erzählt? Es gibt sogar Lieder. Und ich bin noch jung! Denk nur, was für ein Vermächtnis ich eines Tages hinterlassen werde.«
Er stand nun vor Kes in dem Becken, das so sehr wie ein natürlicher Teich wirkte, und seine Hände ruhten am Ufer.
Ganz deutlich waren die bunt schillernden Häute zwischen den Fingern zu sehen.
Kes dachte an seine Schwingen und stellte sich vor, wie die Rhulani am Himmel schwebten.
Frei…
»Ach, verstehen Sie denn nicht, Aren?« platzte es plötzlich aus ihr heraus. »Ich bin Ihre Gefangene, aber Sie sind ebenfalls ein Gefangener, und zwar der eigenen Furcht. Tausende von Jahren leben Sie, mehr als Zeit genug, um Gutes zu tun und Millionen von Personen zu helfen. Statt dessen sind Sie ein Raumpirat. Sie töten und stehlen und…«
Kes unterbrach sich überrascht, als Aren ihr die feuchte Hand aufs Bein legte und sie vorsichtig streichelte.
»Zeig es mir«, flüsterte er. »Zeig mir, liebe Kes, wie man all die guten Dinge vollbringt, von denen du sprichst. Mein Leben wird immer leerer für mich, und ich möchte, daß du es während der kurzen Zeit füllst, die dir zur Verfügung steht. Du bist mir schon jetzt sehr ans Herz gewachsen, Liebling. Komm zu mir.«
Er breitete die Arme aus, um Kes im Teich zu empfangen.
Die Ocampa spürte plötzlich einen Kloß im Hals, und ihr Puls raste. In diesem Augenblick wünschte sie sich nichts mehr, als das Handtuch beiseite zu werfen, ins warme Wasser zu gleiten, sich von Aren umarmen zu lassen und die wundervollen Schwingen zu berühren. Vielleicht konnte sie ihm helfen…
Dann begegnete sie Arens Blick und wußte, daß die Realität anders aussah. Oh, seine Worte waren zweifellos ernst gemeint, aber Aren konnte nicht über den eigenen Schatten springen. Er blieb ein Raumpirat und hatte keine Möglichkeit, die von ihm geschaffene Organisation auf einmal für gute Zwecke einzusetzen. Die anderen Rhulani würden das nicht zulassen und ihn töten, wenn er zu weit ging. Und er würde mich hassen, dachte Kes. Weil er durch mich alles verlor.
Der Doktor fiel ihr ein, Tuvok, Captain Janeway, ihre eigene kleine hydroponische Anlage. Zwar ließ sie sich nicht mit diesem Dschungel vergleichen, aber sie stellte das Ergebnis ihrer Bemühungen dar. Sie dachte daran, wie vielen Patienten sie in der Krankenstation geholfen, wie oft sie dort Schmerzen gelindert und Leben gerettet hatte. Tief in ihrem Herzen wußte sie: Es gab noch immer einen Platz für sie an Bord der Voyager. So verlockend das warme Wasser und auch Aren sein mochten: Sie gehörte nicht an die Seite dieses Mannes.
»Es tut mir leid«, hauchte sie.
»Kes, bitte… bitte bleib.« Tränen quollen ihr in die Augen, als sie aufstand und loslief. Sie floh in Richtung Tür und hielt nur kurz inne, um den Bademantel aufzuheben und
überzustreifen.
Hinter ihr erklang ein Schrei, den sie nie vergessen würde –
er kündete von Schmerz, Verlust und Zorn.
Kapitel 15
Kula Dhad war alles andere als versessen darauf, mit Aren Yashar über die letzten Berichte der Scoutschiffe zu sprechen.
Am vergangen Abend – beziehungsweise an diesem Morgen
– hatte er erstaunt beobachtet, wie Kes mit tränenüberströmtem Gesicht den hydroponischen Garten verließ. In dem großen Raum stieß Aren einen Schrei aus, der soviel Schmerz und Zorn zum Ausdruck brachte, daß Dhad ebenso floh wie die Ocampa.
Er hatte gehofft, dem Oberhaupt der Piraten und seiner schwierigen Schönen wenigstens einen Tag
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