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Gestrandet

Gestrandet

Titel: Gestrandet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christie Golden
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Nun, vielleicht gibt es etwas in mir, das sie dir zeigen wollte.«
    »Erzählen Sie mir davon.« Kes setzte sich in Bewegung, wie von den Flügeln angezogen. Am Rand des Teichs nahm sie Platz und ließ die Beine ins warme Wasser baumeln. Auch weiterhin bedeckte sie sich mit dem Handtuch. »Von den Schwingen. Was ist geschehen?«
    Aren verschwand für einige Sekunden im Wasser, tauchte dann wieder auf. Nässe glänzte auf Haut, Haar und Flügeln. Er sah die Ocampa nicht an, als er sprach, und eine sonderbare Melancholie erklang in seiner jetzt sehr sanften Stimme.
    »Wir sind ein altes Volk, Kes, älter vielleicht, als du dir vorstellen kannst. Einst flogen wir mit unseren Schwingen, vor vielen Jahrtausenden, als wir mehr Ähnlichkeit mit Kakkiks hatten als mit Humanoiden. Die Fähigkeit des Fliegens tauschten wir gegen Masse ein, gegen die Möglichkeit zu laufen und Dinge mit den Händen zu manipulieren. Die Schwimmhäute…« Er hob die Hände. »Sie entstanden, als sich die Flügel zurückbildeten.«
    Einige Sekunden lang schwieg Aren nachdenklich.
    »Fangen wir mit der jüngeren Geschichte an. Auf einer fruchtbaren, hübschen Welt namens Rhulan lebte ein Volk, das sich Rhulani nannte. Künste und Wissenschaft spielten in unserer Kultur eine wichtige Rolle.
    Unsere lange Lebenserwartung gab jedem Individuum
    Gelegenheit, viel zu lernen, und jede Generation konnte ihre angesammelten Schätze an die nächste weitergeben. Natürlich gab es nicht sehr viele Generationen – wir waren nie besonders fruchtbar, was vielleicht daran lag, daß jeder einzelne von uns Jahrtausende lang lebte. Aber immer gab es junge, eifrige Rhulani, um den Platz der Verstorbenen einzunehmen.«
    Wieder zögerte Aren, und noch immer mied er Kes’ Blick.
    »Es dauerte eine Weile, bis wir Verdacht schöpften. Wenn es normal ist, daß die meisten Familien keine Kinder haben, fällt einem zunächst nichts auf. Aber schließlich merkten wir: Es gab überhaupt keine Familien mit Kindern mehr.«
    Er hob den Kopf, und das matte Licht ließ Tränen glitzern.
    »Wir sind alle unfruchtbar. Nach der gegenwärtigen
    Generation wird es keine Rhulani mehr geben.«
    Kes seufzte voller Anteilnahme. Die Lebenserwartung der Ocampa war nicht besonders groß, aber das Volk würde überleben – der Beschützer hatte dafür gesorgt. Kes erinnerte sich an die Erfahrungen mit ihrer eigenen erwachenden Fruchtbarkeit, an einen Blick in die Zukunft, der ihr Tochter und Enkel zeigte, sie darauf hinwies, daß das Leben in jedem Fall weiterging. In den Gesichtern von Kindern kam eine Unsterblichkeit zum Ausdruck, die man in einem langen Leben vergeblich suchte. Kes wußte nun um die Natur des Leids, das einer schweren Bürde gleich auf Aren lastete.
    Aber schließlich merkten wir: Es gab überhaupt keine Familien mit Kindern mehr…
    »Es tut mir so leid, Aren«, hauchte Kes.
    Er nickte und fuhr fort: »Ich war zu jener Zeit ein
    prominenter Politiker. Wir versuchten, die Ruhe zu bewahren und zu beweisen, daß es sich nur um Gerüchte handelte, doch die Wissenschaftler bestätigten unsere schlimmsten
    Befürchtungen. Kes, im ganzen Universum gibt es kein politisches System, das ein vom Aussterben bedrohtes Volk ruhig halten kann. Unsere Welt stand plötzlich Kopf. Über Nacht entstanden Sekten, die Sorge und Furcht der Rhulani ausnutzten. Viele ließen sich davon überzeugen, daß wir irgendeinen Gott beleidigt hatten, mit unserem langen Leben vielleicht, mit unserer Schönheit, den herrlichen Flügen oder den schimmernden Häuten zwischen den Fingern. Die Sekten entwickelten Rituale der Selbstverstümmelung. Man stutzte die Flügel und zerschnitt die Schwimmhäute. Manche Rhulani führten solche Rituale allein durch und verbluteten. Andere schlossen sich zu fanatischen Gruppen zusammen, überfielen Artgenossen auf dunklen Straßen – oder auch am hellichten Tag –, und zwangen sie, sich dem Ritual zu unterziehen.
    Ich…«
    Aren schloß die Augen und wandte sich halb von Kes ab. Sie konnte sich vorstellen, was geschehen war.
    »Man überfiel auch Sie«, sagte die Ocampa leise. »Die Fanatiker versuchten, auch Ihre Schwingen zu stutzen.«
    »Zwei von ihnen brachte ich um«, zischte Aren. »Sie konnten sich nur einen Flügel vornehmen, bevor es mir gelang, mich zu befreien. Ich verließ den von Angst regierten Planeten und gründete die Gemeinschaft der Ja’in. Mein Volk starb, und ich wollte leben.«
    Aren Yashar hatte auf Kes immer sehr stolz und selbstsicher gewirkt.

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