Geteilter Tod - Norman, H: Geteilter Tod - Caged
ihrer Vermisstenmeldung an, sie habe sich bis Samstagnachmittag zurückgehalten und sich mit der Erklärung beruhigt, die beiden seien mit Freunden ausgegangen oder mit einem Taxi zum Flughafen gefahren, um übers Wochenende zu verreisen. Aber nichts davon erschien letztlich glaubhaft, und so war sie schließlich zu Duprez' Apartmenthaus in Miami Beach gefahren und hatte den Hausmeister überredet, den Schlüssel zu holen, damit sie nachsehen konnten, ob alles in Ordnung war.
Und genauso hatte es auf den ersten Blick ausgesehen. Falls André kürzlich dort gewesen war - ob allein oder mit Elizabeth -, gab es keinerlei Anzeichen dafür. Michelle berichtete, die Küche sei in makellosem Zustand gewesen. Doch als sie sich gemeinsam mit dem Hausmeister umschaute, stellte sie fest, dass Andrés Koffer allesamt da zu sein schienen - und auch die Reisetasche, die er auf Kurzreisen stets mitnahm.
Sam legte die Vermisstenmeldung auf den Schreibtisch.
»Keine Anzeichen für einen Kampf, soweit sie feststellen konnte«, sagte er.
»War sie auch in Elizabeth Price' Haus?«, fragte Martinez.
»Nein. Keinen Schlüssel.« Sam stockte. »Elizabeths Vater und ihre Schwester leben in Sarasota, die Mutter ist verstorben. André Duprez stammt aus Quebec City. Er ist vor zehn Jahren zum Überwintern hier runtergekommen und nie mehr nach Hause zurückgekehrt. Beide Eltern leben noch und wohnen nach wie vor dort.«
Der Drucker spuckte soeben das Foto aus, das Michelle Webster am Samstag der Polizei ausgehändigt hatte. Es zeigte zwei attraktive junge Leute, die sich auf einer Party vergnügten. Die Frau, die auf dem Foto herzhaft lachte, war brünett, mit hohen Wangenknochen; sie trug ein schlichtes, elegantes schwarzes Kleid. Der nicht minder attraktive junge Mann trug ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Sein blondes Haar war stoppelkurz geschnitten, und er hatte blaue Augen und einen verwegenen Blick.
Wirkliche Zweifel bestanden nicht hinsichtlich ihrer Identität.
Beamte des Sarasota Police Departments würden Elizabeths Vater, Edward Price, innerhalb der nächsten Stunde einen Besuch abstatten. Die gleiche Geschichte in Quebec City. Man würde alles arrangieren, damit die Leute so schnell wie möglich nach Miami fliegen konnten.
Man würde sie um die Erlaubnis bitten, sich die Wohnungen ihrer Kinder anzusehen und sich Durchsuchungsbefehle beschaffen - alles, um der Polizei bei den Ermittlungen zu helfen, ob an einer der beiden Adressen etwas Schlimmes passiert war oder ob der Lebensstil der Opfer irgendeine Verbindung zu dem ermordeten Paar in der Oates Gallery erkennen ließ.
In der Zwischenzeit würden Sam und Martinez Michelle Webster aufsuchen und sich dann auf den Weg zur Anwaltskanzlei von Tiller, Valdez und Weinman machen, wo sich zwei der Seniorpartner bereiterklärt hatten, mit ihnen zu reden und zu helfen, andere mögliche Verbindungen zwischen den beiden Paaren zu finden.
Eine andere als die, dass man beide Paare ermordet hatte - die bisher einzige Gemeinsamkeit.
Aber jetzt hatten der unbekannte Mann und die unbekannte Frau wenigstens Namen.
36
Sie trafen sich mit Michelle Webster im Gerichtsmedizinischen Institut, wo sie um kurz nach fünfzehn Uhr aus dem Trauerraum für die Angehörigen kam. Die junge Frau hatte soeben entsetzliche Fotos von zwei Freunden identifiziert und war am Boden zerstört. Wie sie den Detectives erzählte, war sie Elizabeths Freundin gewesen, hatte André aber auch sehr gemocht.
»Ich kann das einfach nicht glauben«, sagte sie. »Ich kann es nicht fassen!«
Sie war klein, vielleicht eins fünfundfünfzig, schätzte Sam, und hatte kurzes, rabenschwarzes Haar und dunkle Augen, die hinter einer ovalen Brille verborgen waren, an deren Bügeln winzige Schmucksteine funkelten. Ihre Stimme klang, als bereite es ihr Mühe zu sprechen, wenn nicht gar Schmerzen, und die Worte brachen zwischen heftigen Schüben von Weinkrämpfen aus ihr hervor. Sam und Martinez bezweifelten, dass sie heute noch irgendetwas Wichtiges aus Michelle Webster herausbekamen.
Sie gingen behutsam mit ihr um, teilten ihr mit, dass Edward Price und seine jüngere Tochter Margie am späten Abend auf dem Miami International Airport eintreffen würden und dass man für Gérard und Claudine Duprez die erste Maschine gebucht habe, die am nächsten Morgen Quebec City verließ.
»Können wir Sie nach Hause fahren?«, bot Sam an.
Michelle schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich es jetzt schon ertragen könnte, zu
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