Geteilter Tod - Norman, H: Geteilter Tod - Caged
habe ihm das Portemonnaie gegeben.«
»Aber er ist auf Sie zugerannt«, protestierte Jessica. »Er hat es sich aus Ihrer Handtasche gegrabscht.«
»Unsinn. Ich habe ihn in den Laden da geschickt. Er hatte vergessen, das Portemonnaie mitzunehmen und ist noch mal zurückgekommen, um es zu holen.« Die Mutter war immer noch aufgebracht. »Verstößt das gegen ein Gesetz?«
»Selbstverständlich nicht, Ma'am«, sagte Sam. »Es war bloß ein Missverständnis.«
»Ich glaube, das Miststück hat mir den Arm gebrochen!« Die Stimme des jungen Mannes wurde mit jedem Wort lauter, und die Leute blieben stehen.
»Wenn du verletzt bist«, versicherte Sam dem Teenager, »holen wir den Rettungsdienst.«
»Wenn dieses Weib ihm den Arm gebrochen hat, verklage ich die Polizei«, schimpfte die Mutter.
»Was Ihr gutes Recht wäre«, erwiderte Martinez. »Aber es war ein Missverständnis, Ma'am. Diese Frau dachte, man hätte Sie beraubt. Sie hat nur versucht, Ihnen zu helfen.«
»Es tut mir leid.« Jessicas Wangen waren jetzt purpurrot, und ihre Schmach wurde mit jeder Sekunde größer. »Ich wollte Ihnen wirklich nur helfen. Entschuldigen Sie.«
»Es ist okay«, sagte Martinez zu ihr. »Es war ein bedauerlicher Irrtum.«
Fünf Minuten später hatte die Mutter sich beruhigt. Bei ihrem Sohn hatte sich nicht einmal ein Bluterguss am Arm gebildet, sodass er ganz bestimmt nicht verletzt war. Die Detectives hatten sich trotzdem noch einmal erboten, den Rettungsdienst zu rufen, doch die Frau hatte darauf verzichtet.
Die kleine Menschenmenge war enttäuscht weitergezogen.
»Alles in bester Ordnung«, sagte Sam. »Sollen wir uns jetzt unser Sandwich holen?«
»Ich glaube nicht, dass ich etwas herunterbekomme«, erwiderte Jessica.
»Eine Kleinigkeit solltest du aber essen«, sagte Sam.
Als sie außer Hörweite von Mutter und Sohn waren, blieb Martinez stehen und wandte sich Jessica zu. »Wie konntest du so dumm sein? Stell dir vor, der Junge hätte eine Waffe gehabt. Du könntest jetzt tot sein. Und dass du einen Teenager tätlich angegriffen hast, davon will ich gar nicht erst reden.«
»He, Mann.« Sam sah, dass Jessica Tränen in die Augen traten. »Immer mit der Ruhe. Sie wollte dir helfen.« Er legte den Arm um ihre Schultern. »Aber Al hat recht, Jessica. Der Junge hätte bewaffnet sein können.«
»Ich weiß.« Mit zitternden Händen wischte Jessica sich über die Augen. »Es tut mir wirklich leid.«
Sam nahm seinen Arm weg, und Martinez übernahm und umarmte sie.
»Okay«, sagte Sam. »Das ist besser.«
»Mir tut's auch leid.« Martinez küsste sie. »Ich hätte nicht so wütend werden dürfen.«
Jessica löste sich aus seiner Umarmung. »Nicht in der Öffentlichkeit, Al. Ich schäme mich so schon genug.«
»Nicht ohne, deine Verlobte«, sagte Sam zu Martinez.
Und sah, dass Jessica wieder errötete.
61
Christous Restaurant, das Anthonys Taste of Ionia, war bis siebzehn Uhr geschlossen. Die Detectives klopften trotzdem an. Eine dunkelhaarige junge Frau in einem T-Shirt-Kleid erschien in der Tür. Sie wirkte nicht sonderlich überrascht, als sie ihre Dienstmarken sah. Offenbar wusste sie, was sich im Garten ihres Chefs zugetragen hatte.
»Es ist nur ein Höflichkeitsbesuch«, sagte Sam.
»Mister Christou ist unterwegs«, erwiderte die junge Frau, »aber ich hoffe, dass er nicht allzu lange wegbleibt. Möchten Sie hereinkommen und warten?«
Sie hielt ihnen die Tür auf, und sie betraten ein großes, schwach beleuchtetes, leeres Restaurant. Die Tische waren mit weißen Tafeltüchern, Silberbesteck und Kristallgläsern gedeckt.
»Ich bin Effie.« Die junge Frau sperrte die Tür zu und drehte sich wieder zu ihnen um. »Effie Stephanopoulos, Mister Christous Assistentin.« Sie stockte einen Moment. »Das war ja eine entsetzliche Geschichte.«
»Ja«, erwiderte Sam. »Das kann man wohl sagen.«
»Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten, während Sie warten?«
»Ein Glas Wasser, bitte«, antwortete Sam. »Falls es nicht zu viele Umstände macht.«
Effie ging an einer langen altmodischen Theke entlang und trat dahinter. »Für Sie das Gleiche?«, erkundigte sie sich bei Martinez. »Kaffee? Oder vielleicht etwas Stärkeres?«
»Für mich bitte auch ein Glas Wasser, Ma'am«, gab Martinez zurück. »Aber hätten Sie zufällig ein paar Kopfschmerztabletten?«
»Tylenol?« Sie bückte sich, denn unter der Theke war ein Kühlschrank. Sie öffnete ihn, nahm zwei kleine Flaschen Mineralwasser heraus und richtete sich wieder
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