Geteiltes Geheimnis
habe. Eine Verbindung zu einem Mann.«
Cassie zuckte zusammen und nickte. Dann beschrieb sie, wie diese Gruppe von Frauen vorging, um die Leidenschaft wieder zu entfachen. »Wir inszenieren Sex-Fantasien. Ihre. Neun Stück, die im Laufe eines Jahres realisiert werden. Es gibt einen Anhänger für jeden Schritt.« Sie hielt ihr Armband in die Höhe. »Die zehnte Fantasie ist gleichzeitig eine Entscheidung – bei S.E.C.R.E.T. zu bleiben, wie ich, oder allein weiterzumachen, vielleicht eine richtige Beziehung auszuprobieren, wenn Sie bereit dazu sind. Sehen Sie das?« Sie ging ihre Anhänger durch, bis sie auf einen stieß, auf dem die römische Ziffer 10 und das Wort Entscheidung zu lesen war. »Ich habe sämtliche Schritte durchlaufen, was mich zur Entscheidung geführt und befreit hat. Befreit von vielen Dingen, vornehmlich von Furcht und Selbstzweifeln. Dass ich Mitglied von S.E.C.R.E.T. bleibe, ist meine freie Entscheidung, und ich kann jederzeit austreten.«
»Geheime Sex-Fantasien? In New Orleans?«, fragte ich und konnte ein Kichern kaum unterdrücken. »Entschuldigen Sie, Cassie, aber das ist das Absurdeste, was ich je im Leben gehört habe.«
Ein Teil von mir wäre am liebsten aufgestanden, hätte die Polizei gerufen und sie aus dem Laden geschmissen. Der andere Teil klebte am Stuhl fest, Augen, Ohren und Herz weit geöffnet.
»Ich weiß, das klingt lächerlich. Aber ich sage Ihnen, es ist das Beste, was mir je passiert ist. Sie müssen nur akzeptieren oder ablehnen.«
»Und Sie haben das getan?«
Sie nickte.
»Letztes Jahr?«
Sie nickte wieder, diesmal verzog sie den Mund zu einem Lächeln.
»Sie haben neun verschiedene Sex-Fantasien mit neun verschiedenen Männern erlebt?«
»Jawohl«, antwortete sie und sah dabei aus, als sei sie genauso erstaunt über sich selbst wie ich.
»Und Sie haben beschlossen, in dieser … Gruppe … zu bleiben und anderen Frauen zu helfen?«
Ihre Züge erschlafften, und ihre Augen verdunkelten sich. »Eigentlich nicht. Eigentlich hatte ich beschlossen, S.E.C.R.E.T. zu verlassen, denn ich dachte … Na ja, ich verliebte mich. In einen alten Freund. Aber das richtige Timing ist nun mal alles, wie man so schön sagt, und unseres war eine Katastrophe. Alles ist kaputt gegangen. Ein Mitglied von S.E.C.R.E.T. zu sein ist das Einzige, was mir darüber hinweghilft.«
»Das tut mir leid für Sie.«
Bedrückende Stille. Wir dachten beide über die seltsamen Dinge nach, die wir gerade besprochen hatten.
»Heilige Scheiße«, murmelte ich schließlich hilflos. »Aber warum ich?«
»Wieder das Timing. Wir haben Sie gesehen und erlebt. Und, nun ja, ich glaube, wir haben recht: Sie brauchen das.«
Ich blickte mich in meinem überladenen, überorganisierten Büro um. »Ja, wahrscheinlich schon«, bekannte ich. »Aber warum glauben Sie, dass das Ausleben von Sex-Fantasien alles reparieren kann?«
»Ich will nicht alles reparieren. Aber es repariert einen Teil von Ihnen, was wiederum eine Art Schneeballeffekt in Ihrem ganzen Leben auslöst. Wenigstens hat es bei mir so gewirkt. Viel mehr sollte ich Ihnen aber eigentlich nicht erzählen. Mehr erfahren Sie bei der Komitee-Sitzung, wenn es Sie interessiert. Vor einem Jahr war ich nicht mal in der Lage, irgendjemanden anzusehen geschweige denn eine attraktive Zufallsbekanntschaft anzusprechen. Und nun teile ich eines meiner intimsten Geheimnisse mit einer komplett Fremden.«
Sie sah auf die Uhr. »Ich muss wieder an die Arbeit.«
Plötzlich bekam ich Panik. Was, wenn ich sie nie wiedersah? »Und jetzt? Was muss ich tun?«
»Sind Sie denn interessiert?«
»Ja! Nein! Ein wenig. Oh … ich muss darüber nachdenken.«
»Nehmen Sie sich Zeit. Wenn Sie beschließen, unser Angebot anzunehmen, können Sie mich anrufen. Ich werde dann alles arrangieren. Und dann … geht’s los.«
Was würde losgehen, wie, mit wem und wo? Und wie oft? Und zu welcher Tageszeit? Der Kontrollfreak in mir musste das ganz genau im Voraus planen. Ich musste sämtliche Notausgänge kennen und die Nachteile überdenken, alles bewerten und abwägen. Als Kind hatte ich an jedem Strand und See viel länger als andere Kinder gestanden und nachdenklich die Stirn gerunzelt. Konnte ich den Grund sehen? Konnte ich ihn berühren? Wenn nicht, dann war ich nicht gesprungen. Und jetzt bekam ich ein Angebot von dieser selbstbewussten Frau, die behauptete, früher einmal ebenso verloren und verwirrt gewesen zu sein wie ich jetzt.
Wir gingen zur Kasse, vorbei an einer
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