Getrieben - Durch ewige Nacht
Aus dem Augenwinkel sah er Shades schäbigen, behangenen Mantel. Der Handel mit Klatsch und Gerüchten hatte heute Abend einen Sieg errungen.
»Du bist ein Lügner, Peregrine.«
Perry blickte auf und folgte der bitteren Stimme, bis er Wylan fand, der sich in der Menge versteckt hatte. »Willst du nicht nach vorn kommen und das wiederholen, Wylan?«
»Wirst du mich dann auch verprügeln, wenn ich das tue?« Wylan schüttelte den Kopf. »Du bist schlimmer als Vale«, sagte er leise und verließ das Kochhaus.
Twig schubste Wylan, als der an ihm vorbeikam. Ein unfairer Trick – überraschend für jemanden, der so ehrenhaft war wie Twig.
Perry ließ seinen Blick durch die Halle wandern. Hayden wappnete sich, und Gren hatte sein Messer gezückt. Reef sondierte die Menge – ein Krieger, der den Feind abschätzt.
Aber das waren nicht seine Feinde, das waren seine Leute. Perry sah sich um, witterte Mitleid, Angst und Wut.
Schließlich brach Reef die Stille. »Geht nach Hause, es ist vorbei.«
Aber Perry wusste, dass er sich irrte.
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Aria
| Kapitel Vierzehn
Ein brennender Schmerz im Arm weckte Aria auf. Sie blinzelte in die Dunkelheit. Ihre Zunge klebte am Gaumen, und ihr Kopf hämmerte so heftig, dass sie sich nicht zu rühren wagte. Sie lag auf dem Bett in Vales Zimmer. Ätherlicht drang durch einen kleinen Spalt zwischen den Fensterläden herein, blau und kalt wie der Schein des Vollmonds.
Sie schaute an sich hinab, bewegte ganz vorsichtig den Kopf. Ein Stoffstreifen war fest um ihren Bizeps gebunden; bei dem dunklen Flecken darauf musste es sich um Blut handeln. Ihre Hand zitterte unkontrollierbar, als sie den Verband berührte. Sie hatte das Gefühl, als sei sie verbrüht – nicht nur auf der Haut, sondern auch tief in ihren Adern.
Plötzlich erinnerte sie sich wieder an die Zeremonie. Bear, wie er mit dem Stift in ihre Haut gestochen hatte, der furchtbare Schmerz, der sich in ihren Muskeln ausgebreitet hatte. Die schwächer werdenden Geräusche, die Stimmen und Trommeln, und die Halle, die sich immer mehr zur Seite neigte.
Sie war vergiftet worden.
Dann schloss sie fest die Augen. Das alles war so unglaublich
mittelalterlich
, dass sie gelacht hätte, wenn sie gekonnt hätte, aber dann prallten tief in ihrem Innern Wut und Angst aufeinander. Das Zittern ihrer Hände ging auf ihren gesamten Körper über, als ihr die Tragweite der Ereignisse bewusst wurde. Wieso war ihr so kalt, wo doch das Blut in ihren Adern kochte? Sie drehte sich auf die Seite und rollte sich zu einer Kugel zusammen, spannte jeden Muskel an, als der Schüttelfrost sie überfiel.
Wer hatte das getan? Brooke? Wylan? Oder etwa Molly? Konnte es wirklich die eine Person gewesen sein, der sie hier gerade zu trauen begonnen hatte? Aria dachte an den Abend, an dem sie mit Roar zusammen im Kochhaus gesungen hatte. So viele Menschen hatten sie dort angelächelt. Hatten sie auch gelächelt, als sie vergiftet worden war?
Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. Dieser bittere Geschmack – war das das Gift? Ihr Blick blieb an dem geschnitzten Falken auf dem Nachttisch hängen, dessen grobe Konturen der Äther blau färbte. Sie hatte die Augen noch immer auf die kleine Figur gerichtet, als der Schlaf kam und sie forttrug.
Als sie wieder aufwachte, hatte jemand eine Kerze auf dem Nachttisch angezündet. Sie blinzelte, denn der helle Schein der Flamme schmerzte in ihren Augen. Perry sprach im Zimmer nebenan, seine Stimme heiser und besorgt. Sofort ging ihr Puls schneller.
»Ich habe gemerkt, dass etwas nicht stimmte«, sagte er. »Mir war irgendwie übel da drin. Aber ich wusste nicht, dass es ihretwegen war.«
Als Reef darauf antwortete, schien er nicht im Geringsten überrascht zu sein. »Du hast dich ihr gegenüber hingegeben.« Aria hörte das Knarren einer Diele und dann seinen leisen Fluch. »So was hatte ich mir schon gedacht. Aber ich habe gebetet, dass es nicht stimmt.«
Aria starrte auf die Tür, verzweifelt bemüht, zu verstehen. Perry hatte sich
ihr
hingegeben?
»Glaubst du, das war das letzte Mal, dass ihre Stimmungen dich beeinflussen werden? Nein. Du hast dich einem Mädchen hingegeben, das niemand hier haben will. Etwas Schlimmeres als das kann ich mir nicht vorstellen. Sie trübt dein Urteilsvermögen.«
»Nein, sie …«
»Doch, Perry, das tut sie. Sie kann nicht bleiben. Das musst du einsehen. Und nach dem, was du eben getan hast, werden die Tiden sie ganz sicher nicht akzeptieren. Du
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