Getrieben - Durch ewige Nacht
nicht, Kirra.«
Sie hob die Augenbrauen. »Wirklich nicht? Mal sehen … Du machst dir Sorgen wegen deines Stammes, große Sorgen sogar, und diese Sorgen gehen über die Verantwortung hinaus, die diese Kette mit sich bringt. Es scheint, als könntest du nicht anders, als dich um Menschen zu kümmern. Wenn ich raten sollte, würde ich sagen, dass Schutz und Sicherheit Dinge sind, die du selbst nie kennengelernt hast.«
Perry zwang sich, den Blickkontakt mit ihr nicht zu unterbrechen. Er konnte ihr nicht vorwerfen, dass sie Bescheid wusste. Sie war wie er. Auf diese Weise nahmen sie beide Menschen wahr, erfassten sie bis ins Innerste ihrer Gefühle, bis zu der Wahrheit tief in ihrem Innern.
»Du hast eine starke emotionale Bindung zu Marron und Reef«, fuhr Kirra fort, »aber die Beziehung zu einem der beiden ist für dich schwieriger als die andere.«
Auch das stimmte. Marron war ein Mentor, er war ihm ebenbürtig. Aber Reef erschien ihm manchmal eher wie ein Vater – ein Verhältnis, das schon immer problematisch gewesen war.
»Und dann ist da noch Cinder. Du bist ihm nicht hingegeben, soweit ich das beurteilen kann, aber es existiert etwas sehr Starkes zwischen euch.« Sie hielt inne und wartete auf einen Kommentar. Als Perry beharrlich schwieg, fuhr sie fort: »Wirklich interessant ist deine Stimmung in Gegenwart von Frauen. Offenbar bist du …«
Perry lachte nervös. »In Ordnung, das reicht jetzt. Du kannst aufhören. Was ist mit dir, Kirra?«
»Was soll mit mir sein?« Sie klang ruhig und gelassen, aber ein lebhafter, grüner Duft erreichte ihn, der vor Anspannung leuchtete.
»Seit zwei Tagen versuchst du, mich anzumachen, nur heute hältst du dich zurück.«
»Ich würde es auch weiterhin versuchen, wenn ich glauben würde, dass ich eine Chance hätte«, erklärte sie rundheraus, ohne sich zu entschuldigen. »Na, jedenfalls tut es mir leid … Ich meine das, was du durchmachst.«
Er wusste, dass sie ihn köderte, konnte sich aber trotzdem nicht bremsen. »Was mache ich denn durch?«
Kirra zuckte die Schultern. »Dein bester Freund hintergeht dich.«
Perry starrte sie ungläubig an. Dachte sie etwa, dass Aria und Roar
zusammen
waren? Er schüttelte den Kopf. »Nein. Da hast du etwas Falsches gehört. Sie sind nur Freunde, Kirra. Sie mussten beide nach Norden ziehen.«
»Oh … Das hab ich wohl angenommen, weil sie beide Horcher sind … und fortgegangen sind, ohne dir was zu sagen. Tut mir leid. Vergiss einfach, was ich gesagt habe.« Sie schaute hinauf zum Himmel. »Das sieht nicht gut aus.« Sie stand auf und rieb sich den Sand von den Händen. »Komm. Wir sollten uns auf den Weg machen.«
Während sie zum Dorf zurückritten, wurde Perry die Bilder nicht los.
Roar, der Aria am ersten Tag in seinem Haus so fest umarmt hatte.
Roar, der auf dem Dünenkamm gestanden und gescherzt hatte, nachdem Perry Aria geküsst hatte.
Mich hat es auch verrückt gemacht, Per.
Nur ein Scherz. Es musste ein Scherz gewesen sein.
Aria und Roar, die in der Nacht des Äthersturms zusammen im Kochhaus gesungen hatten. Ihr Lied war
perfekt
gewesen, als hätten sie schon Tausende Male gemeinsam musiziert.
Perry schüttelte den Kopf. Er
wusste
, was Aria für ihn empfand – und was sie für Roar empfand. Wenn sie zusammen waren,
witterte
er den Unterschied.
Kirra hatte ihm diese Gedanken absichtlich eingepflanzt, damit er Zweifel bekam. Aber Aria hatte ihn nicht betrogen. So etwas würde sie niemals tun, genauso wenig wie Roar. Das war nicht der Grund, weshalb sie gegangen war.
Über den wirklichen Grund wollte er jedoch nicht nachdenken. Er schob die Gedanken fort, wie schon seit Wochen, aber es half nichts. Sie kamen immer wieder, ließen ihn nicht in Ruhe.
Aria war gegangen, weil man sie vergiftet hatte. Sie hatte ihn verlassen, weil sie hier in seiner Heimat, direkt unter seiner Nase, fast getötet worden wäre. Sie war fort, weil er versprochen hatte, sie zu beschützen, sein Versprechen aber nicht gehalten hatte. Das war der Grund.
Er hatte sie im Stich gelassen.
[zurück]
Aria
| Kapitel Dreißig
»Man nennt es Smarteye«, erklärte Aria und hielt das Gerät in ihren zitternden Händen. Sie saß mit Sable am Esstisch, während draußen der Regen auf den Steinbalkon prasselte. Die Nacht brach herein, und weit unten rauschte der vom Regenwasser angeschwollene Snake River.
»Ich habe schon davon gehört«, meinte Sable.
Aria erinnerte sich an den Ausdruck in seinen Augen, als sie das letzte Mal mit ihm an
Weitere Kostenlose Bücher