Getrieben: Thriller (German Edition)
bestimmt, und Jonathan kam sich fast wie ein Kleinkrimineller vor, dem sie die Waffe abschwatzen wollte. »Und was wäre, wenn das Leben von noch mehr Menschen auf dem Spiel stünde? Wenn es nicht um mehrere hundert, sondern um mehrere tausend Menschen ginge?«
»Ganz gleich, um wie viele Menschen es geht, wenn Connor tatsächlich glaubt, dass ich jemanden einfach so töte, dann spinnt er.«
»Aber wenn niemand außer dir für diese Sache in Frage kommt?«
»Das ist nicht mein Problem.«
»Meinst du nicht, dass jeder sich damit auseinandersetzen sollte?«, hielt Danni dagegen. »Oder glaubst du im Ernst, dass mir so etwas Spaß macht? Am Anfang habe ich mich genauso gefühlt wie du. Damals war ich einundzwanzig. Ich wusste, wie man ein Maschinengewehr abfeuert und einen Hindernisparcours bewältigt. Aber Menschen umbringen? Das einzige Lebewesen, das ich bis dahin in meinem Leben getötet hatte, war eine Ente, die ich auf der Jagd mit meinem Onkel erschossen habe, und danach habe ich mich eine Woche lang hundsmiserabel gefühlt. Ich konnte nicht fassen, dass sie so etwas Ungeheuerliches von mir verlangten. Ich bin doch keine Mörderin. Aber meine Ausbilder glaubten, dass ich das Zeug dazu hätte. Nicht, weil ich böse bin, sondern eher wegen einer gewissen Unnachgiebigkeit, also vielleicht einer gewissen Kälte und Kompromisslosigkeit. Ich habe mich noch nie vor einer Aufgabe gedrückt, egal, wie schwierig sie war. Meine Stärke besteht darin, mir nicht immer den Kopf zu zerbrechen, sondern einfach zu tun, was getan werden muss. Zu viel Nachdenken ist oft hinderlich. In diesem Punkt sind wir uns sehr ähnlich, Jonathan. Auch du kannst es schwer ertragen, wenn eine Sache nicht bis zum Schluss durchgezogen wird. Genau deswegen bist du hier.«
»Ich bin hier, weil ein Mann meine Frau gefoltert hat und ich vielleicht dafür sorgen kann, dass dieser Mann und seine Kumpanen niemandem je wieder so etwas antun können.«
»Nein, deswegen bist du nicht hier. Du möchtest herausfinden, ob du ihr das Wasser reichen kannst.«
»Das ist doch lächerlich.«
»Ach ja? Du willst austesten, ob du in der Lage bist, das zu tun, was sie getan hat, und ob du dabei so gut bist wie sie.«
»Nein, das stimmt nicht.«
Danni legte ihm die Hand auf die Wange. »Du bist hier, weil du sie immer noch liebst.«
Jonathan schüttelte ihre Hand ab. Er wollte ihre Worte Lügen strafen und ihr zurufen, dass sie sich irrte. Aber er konnte es nicht. Wortlos wandte er das Gesicht ab und setzte sich wieder hin. Danni hockte sich mit gekreuzten Beinen neben ihn. »Wenn du noch Fragen hast, solltest du dich damit an Connor wenden.«
Überrascht schaute Jonathan sie an. »Connor kommt hierher?«
»Er kommt heute Nachmittag, um dir letzte Anweisungen mit auf den Weg zu geben. Du reist noch heute Abend ab.«
»Heute Abend?«
»Genauer gesagt, um acht Uhr dreißig.«
»Aber …« Doch die Worte wollten ihm plötzlich nicht mehr über die Lippen kommen, und Jonathan fragte sich, ob Danni ihm die Angst im Gesicht ansehen konnte.
Danni zog ein langes schmales Messer aus einer Geheimtasche in ihrer Hose. Die Klinge schimmerte silbrig. »Wir sollten besser anfangen«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin, um ihn hochzuziehen. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
43.
Die Entführung von Dr. Michel Revy fand am gleichen traumhaft sonnigen Tag um zwei Uhr nachmittags statt und wurde von Markus von Daeniken persönlich geleitet und ausgeführt. Unterstützt wurde er dabei von seinen Mitarbeitern beim Dienst für Analyse und Prävention, dem Schweizer Inlandsnachrichtendienst, dessen oberste Aufgabe es ist, das Land vor Terroristen, Extremisten und feindlichen Agenten zu schützen.
Die gesamte Operation war überstürzt geplant worden, aber das war im Grunde nichts Außergewöhnliches. Polizeibeamte standen fast immer unter Zeitdruck, und von Daeniken hatte sich schon vor langer Zeit mit solchen übers Knie gebrochenen Operationen abgefunden. In seinem Wortschatz kam das Wort »Perfektion« nicht vor. Ganze zwölf Stunden hatten ihm zur Verfügung gestanden, um einen Plan auszuarbeiten, das Team zusammenzustellen und jedem seine Aufgabe zuzuweisen. Natürlich hätte er gerne noch einen Tag mehr gehabt, um wenigstens einen Probedurchlauf zu starten, aber Dr. Revys enger Zeitplan hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. In von Daenikens Job musste man sich notgedrungen mit dem zufriedengeben, was man hatte. Wünsche waren purer
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