Getrieben: Thriller (German Edition)
gegenüber. Eine endlose Minute lang sprach keiner von ihnen ein Wort. Jonathan nutzte die Zeit, um Emma eingehend zu betrachten. Ihre Haare waren zu einem glatten Pferdeschwanz zusammengebunden, die Wangen braungebrannt und ihre Lippen rau und gesprungen. Am Kinn entdeckte er eine Narbe, die er an ihr noch nie gesehen hatte. Sie musste von einer tiefen Schnittwunde stammen, die genäht worden war. Emmas Kleidung bestand aus einer locker fallenden schwarzen Bluse und einer Jeans. Beide Kleidungsstücke gehörten nicht ihr, so viel stand fest. Als er ihrem Blick begegnete, traf ihn der Schock, sie ausgerechnet hier zu sehen, mit voller Wucht. Trotzdem hatte er nicht das Bedürfnis, sie in die Arme zu schließen, und war auch nicht überwältigt beim Anblick der verloren geglaubten Geliebten. Er hatte schon vor Monaten entschieden, Emma nicht mehr als seine Ehefrau zu betrachten, obwohl er sie zweifellos immer noch liebte und vielleicht sogar noch mehr als das. Sogar in diesem Moment fühlte er sich von ihrer ungezähmten, wilden Schönheit magisch angezogen. Kaum eine Armlänge von ihm entfernt, hörte er Emmas langsamen, flachen Atem und roch den warmen Duft von Sandelholz auf ihrer Haut, und die animalische Anziehungskraft ihrer ganzen Persönlichkeit erregte und faszinierte ihn noch genauso wie am ersten Tag.
»Was in drei Teufels Namen tust du hier?«, fragte Emma mit gedämpfter Stimme, die vor Zorn bebte.
»Das könnte ich genauso gut dich fragen«, erwiderte Jonathan.
Emma schleuderte den USB-Stick zurück auf den Tisch. »Connor hat also auch dich rumgekriegt. Er muss verdammt stolz auf sich sein. Was hat er dir denn erzählt?«
»Dass du Balfour geholfen hast, den atomaren Sprengkopf vom Berg zu holen. Mehr brauchte er gar nicht zu sagen.«
»Das muss eine ziemliche Überraschung für ihn gewesen sein.«
»Warum, Emma?«
»Hat Frank etwa vergessen, das zu erwähnen? Er hat ein falsches Spiel mit mir getrieben, Jonathan. Er wollte mich aus dem Weg räumen.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Was, bitte schön, weißt du denn?«
»Dass du einem halbirren Waffenhändler hilfst, der im Begriff steht, einem überaus fähigen, taktisch planenden Terroristen eine Atombombe zu verkaufen. Der Mann wird keine Sekunde zögern, sie gegen die USA einzusetzen.«
»Du hast absolut keine Ahnung!«
»Ich weiß, dass Prinz Raschid dich gefoltert hat.«
»War das der Köder, mit dem Frank dich angeworben hat? ›Nur Sie können Ihre arme Frau retten.‹«
Jonathan tastete nach ihrer Hand. »Bist du in Ordnung?«
»Ich bin am Leben. Nur ein paar Narben. Nichts weiter als Schönheitspflästerchen unseres Jobs, Liebling . Also warum kümmerst du dich nicht einfach um deine eigenen Angelegenheiten?«
»Weil du immer noch ein Teil davon bist, Emma.«
»Ich war noch nie Teil deiner Angelegenheiten, Jonathan«, fuhr sie ihn zornig an. »Es war von Anfang an genau andersherum. Kapier das endlich!«
»Das glaub ich nicht.«
»Glaub doch, was du willst«, sagte sie, als ob sie es leid wäre, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Dann verlagerte sie ihr Gewicht auf den anderen Fuß, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht wirkte wie ausgewechselt. Innerhalb von Sekunden war alle Passivität von ihr abgefallen, und vor Jonathan stand wieder die eiskalte Agentin. »Mich würde interessieren, wie du es geschafft hast, in Balfours hochgerüstete Festung zu kommen.«
»Die pakistanische Regierung will Balfour ausweisen. Er hat einen Schweizer Chirurgen angeheuert, um sein Aussehen zu verändern. Auf diese Weise hofft er, unbemerkt untertauchen zu können, nachdem er die Bombe verkauft hat.«
»Und Connor hat dich anstelle des Chirurgen eingeschleust?«
»So ungefähr.«
»Jetzt weißt du also, wie es ist, in die Haut eines anderen zu schlüpfen. Und, gefällt es dir?«
»Nicht besonders.«
»Dann verstehst du vielleicht, wie ich mich gefühlt habe.« Emma drückte das Kinn an die Brust und imitierte Connors ernsten Tonfall. »Kopf hoch, Augen zu und durch, Dr. Ransom.«
»Lass das.« Jonathan packte Emma an den Schultern. »Wieso bist du noch hier?«
»Das war ein Teil der Abmachung. Balfour hat mir das Leben gerettet. Als Gegenleistung habe ich für ihn die Bombe vom Berg geholt, und jetzt zeige ich ihm, was es heißt, unter falschem Namen zu leben. Seit zehn Jahren tue ich schließlich nichts anderes. Eine bessere Lehrmeisterin als mich dürfte er wohl kaum finden.«
»Morgen will Balfour die Bombe übergeben. Das müssen wir
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