Getrieben: Thriller (German Edition)
»Es wird Ihnen bald wieder besser gehen.«
Der alte Mann strahlte über das ganze Gesicht. Von den zermürbenden Schmerzen befreit, die ihn über Wochen geplagt hatten, packte er Jonathans Hand und drückte sie an die Brust. »Allah hat Sie geschickt. Er wird Sie und Ihr Haus segnen. Sie sind ein großer Mann.«
Sultan Haq legte Jonathan eine Hand auf die Schulter. »Danke, dass Sie meinem Vater das Leben gerettet haben.«
»Nichts zu danken«, sagte Jonathan. »Aber wenn Sie sich revanchieren wollen, dann lassen Sie die Soldaten frei.«
»Das sind unsere Feinde«, erwiderte Haq. »Sie haben viele meiner Männer getötet, und sie kennen unser Versteck.«
»Das kennen wir auch.« Hamid kniete am Bett von Abdul Haq und deckte die Wunde mit einem sterilen Verband ab.
»Hat dich jemand nach deiner Meinung gefragt?«, fuhr Haq ihn an und warf dem schmächtigen Assistenten einen finsteren Blick zu.
»Also?«, hakte Jonathan nach.
»Sie dürfen gerne bleiben und sich uns anschließen«, sagte Haq mit gezwungener Freundlichkeit. »Sie sind in dieses Land gekommen, um den Menschen hier zu helfen. Jetzt helfen Sie eben uns.«
»Ist das eine Einladung oder ein Befehl?«, fragte Hamid und erhob sich. Er wirkte auf einmal größer und bei Weitem nicht mehr so eingeschüchtert wie zuvor.
Von den lauten Stimmen alarmiert, steckte einer der Wächter seinen Kopf zur Tür herein.
»Das reicht jetzt, Hamid«, versuchte Jonathan ihn zu beschwichtigen. »Vielleicht kümmerst du dich erst mal weiter um den Verband, einverstanden?«
»Du hast deine Arbeit getan, Jonathan«, sagte Hamid unbeeindruckt. »Jetzt bin ich an der Reihe.«
Überrascht musterte Jonathan seinen Assistenten. Es war das erste Mal, dass Hamid so mit ihm sprach. Die Luft im Raum knisterte vor Spannung. Alle schienen darauf zu warten, dass einer der Anwesenden die Initiative ergriff.
Mit der Waffe im Anschlag kam auch der zweite Wächter zurück in den Raum.
»Ich allein entscheide, ob die Arbeit des Heilers erledigt ist oder nicht«, sagte Haq verärgert über Hamids Unverfrorenheit.
»Sie irren sich«, entgegnete Hamid. »Der Heiler arbeitet nicht für Sie, sondern für mich.«
»Für dich? Einen Hazara?«, höhnte Haq.
»Nicht für mich persönlich. Aber für mich als Stellvertreter der amerikanischen Regierung.«
Ehe die Männer sich’s versahen, stürzte sich Hamid auf den wehrlosen Abdul Haq und schlitzte ihm mit dem Skalpell die Kehle auf. Ein Blutstrahl schoss aus der Wunde. Im Todeskampf presste sich der alte Mann die Hände auf die Wunde, und sein Körper verkrampfte sich. Seine Lippen schienen ein »Oh« zu formen, doch aus seinem Mund drang kein Laut. Mit verdrehten Augen sank der alte Mann zurück in die Kissen.
Abdul Haq war tot.
8.
Der erste Tritt traf Emma in die Seite. Sie hörte, wie eine ihrer Rippen brach. Der nächste Hieb prallte gegen ihre Schulter, und dann attackierte Raschid sie von vorn. Er rammte ihr das Knie in den Magen, packte sie mit seinen starken, kampferprobten Händen an der Jacke und versetzte ihr ein paar Fausthiebe gegen die Brust, so wie Emma es selbst vor langer Zeit beim Nahkampftraining in Jasenewo gelernt hatte.
»Für wen arbeitest du? Die CIA? Das Pentagon? Du wirst auspacken, verstanden? Alles, was ich will, ist ein Geständnis. Bei meinem nächsten Gespräch werde ich General Iwanow die Wahrheit über dich erzählen.«
Wutentbrannt schrie ihr der Prinz die Worte ins Gesicht. Sein attraktives Gesicht war völlig verzerrt. Er hat nicht die leiseste Ahnung, wie man Menschen verhört, dachte Emma, während der Prinz sie wieder und wieder ins Gesicht schlug und an den Haaren zog. Wenn man jemanden zum Reden bringen will, muss man ihm Angst einjagen. Gewalt lässt Menschen verstummen. Doch dann wurde ihr klar, dass der Prinz gar nicht vorhatte, sie zu verhören, weil er die Antworten schon kannte. Sie zu verprügeln diente allein seinem Vergnügen.
Eine Stunde lang waren sie in die Wüste gefahren. Emma hatte gefesselt auf dem Beifahrersitz neben Prinz Raschid gesessen. Einmal hatte er angehalten, um etwas Luft aus den Reifen zu lassen. Danach waren sie querfeldein gefahren, vorbei an Sanddünen und sonnenverbrannter Erde. Irgendwann war die Fahrt zu Ende gewesen. Beim Aussteigen hatte Emma gesehen, dass ihnen zwei Wagen gefolgt waren. Etwa ein Dutzend Polizisten stiegen aus den Begleitfahrzeugen und bildeten auf dem ausgedörrten Boden einen Halbkreis um sie. Balfour war nicht unter ihnen. Emma
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