Getrieben: Thriller (German Edition)
Armbanduhr. Es war genau 1.23 Uhr morgens. Der richtige Zeitpunkt für eine neue Mission.
Nachdem er sich aus dem Intelnet ausgeloggt hatte, saß er eine Weile regungslos im dunklen Zimmer und ließ sich die Ereignisse des Tages noch einmal durch den Kopf gehen. Anders als Erskine sorgte er sich mehr um Emma Ransom als um die Entdeckung einer Cruise Missile, die in einem weit entfernten Gebirgsmassiv unter Schnee und Eis steckte. Zumindest für den Augenblick war die Bombe sicher. Natürlich ging von ihr eine Bedrohung aus, sogar eine von unvorstellbarem Ausmaß, wenn sie tatsächlich mit einem nuklearen Sprengkopf, womöglich auch noch einem scharfen, bestückt war. Aber die Bedrohung war noch nicht akut.
Emma Ransom hingegen war entweder schon tot oder wurde gerade in einem finsteren Gefängnisloch gefoltert. Beide Möglichkeiten bereiteten Connor schier körperlich spürbare Schmerzen.
Emma war etwas Besonderes. Sie hatte viele Opfer gebracht und alles für den Job aufs Spiel gesetzt, genau wie er selbst.
Connor erhob sich und durchquerte das Zimmer. In der hintersten Ecke ließ er sich schwerfällig auf die Knie fallen und hob ein Stück vom Teppichboden hoch. Darunter befand sich ein Safe mit biometrischem Schloss. Nachdem Connor den Safe geöffnet hatte, holte er ein dickes, in Leder gebundenes Buch heraus. Keuchend richtete er sich wieder auf und schlurfte zurück zum Schreibtisch. Erschöpft sank er in seinen Chefsessel und schlug das Buch auf. Bedächtig blätterte er Seite für Seite um und betrachtete die Fotos, die ihm entgegenblickten.
Entgegen aller Vorschriften hatte Connor in diesem Buch alle Männer und Frauen, die je für Division gearbeitet hatten, verewigt. Es waren nur Fotos. Keine Namen. Keine Daten. Nur Gesichter. Aber das allein war bereits ein fundamentaler Vertrauensbruch, und das war Connor auch vollkommen klar. Eine Entschuldigung für dieses Buch gab es nicht. Im Grunde brauchte er auch keine. Die Männer und Frauen in diesem Buch waren seine Familie.
Nachdem er das Buch etwa zur Hälfte durchgeblättert hatte, blieb er an einer Seite hängen und studierte aufmerksam das Gesicht der jungen Frau mit dem lockigen rotbraunen Haar und den eindringlichen grünen Augen. Sie wirkte noch so jung. Aber nicht unschuldig. Emma war nie unschuldig gewesen. Nur jung und eifrig und, weiß Gott, so willig. Noch nie zuvor hatte er jemanden mit einer ähnlichen Begabung und Besessenheit getroffen.
Connor klappte das Buch zu und blickte zur Decke hoch. Etwas trieb ihn zum Handeln. Es war nicht Kummer und ganz bestimmt auch keine Schuldgefühle. Gewissensbisse plagten ihn schon seit vielen Jahren nicht mehr. Das hier war stärker und drängender. Eine Art Pflichtbewusstsein. Er schuldete Emma wirklich viel.
Entschlossen griff Connor zum Telefon und wählte eine Nummer im Nahen Osten. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Mann.
»Schläfst du eigentlich nie?«
»Ich habe einen Auftrag für dich«, sagte Connor. »Streng geheim, also zu niemandem ein Wort.«
»Ist das nicht immer so?«
12.
Viele tausend Kilometer entfernt rollte ein Land Rover auf den Standstreifen der Autobahn zwischen Dubai und Sharjah und blieb schließlich stehen. Es war genau ein Uhr mittags. Der Fahrer des Wagens lehnte sich in seinem Sitz zurück und starrte aus dem Fenster. Egal wohin er blickte, überall das gleiche, trostlose Bild: ein Meer von Sanddünen, die sich durch nichts voneinander unterschieden. Ein letztes Mal verglich er die Koordinaten des Navis in seinem Organizer mit denen, die Frank Connor ihm zwei Stunden zuvor telefonisch durchgegeben hatte. Laut Navi befand er sich sechsundzwanzig Kilometer südwestlich der Freihandelszone Sharjah. Also an der richtigen Stelle.
Der Mann schaltete den Motor ab, stieg aus und lief einmal um den Wagen herum. Bei jedem Reifen blieb er stehen und ließ mithilfe eines Stifts Luft aus den Ventilen. Dann schirmte er mit der Hand die Augen gegen die Sonne ab und blickte sich in beide Richtungen suchend nach näher kommenden Wagen um. Weit und breit keine Menschenseele. Eigentlich spielte es auch gar keine Rolle, denn Ausflüge in die Wüste waren inzwischen bei Touristen sehr beliebt. Auf den Türen des Land Rovers prangte gut sichtbar das Logo von »Dubai Wüsten-Abenteuer«. Für zufällige Beobachter in vorbeirauschenden Fahrzeugen war er nur einer der zahlreichen Fremdenführer. Sollte sich einer von ihnen genauer für den Mann mit dem Land Rover am Straßenrand
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