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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Die anderen sagten: »Aber Frau Wäns, Sie sind doch längst eine von uns. Her zu uns!« »Nein, junges Volk«, antwortete ich dann mir zuliebe, »ich weiß, wo ich hingehöre!« Da lachten sie und fühlten sich wohl einen Augenblick lang im Kontrast zu mir wieder so jung, wie sie es vor Wochen gewesen waren mit unserm Herrn Hans. Und ich, ich lachte auch, lachte mir ins Fäustchen in meinem gemütlichen Winkel. Denn von meinem Zittern am ersten Abend, von dem ahnten sie nichts.
    Wie gefährlich es war, aus meiner Höhle hervorzukommen, das habe ich gemerkt, als mich die schielende Füchsin, die schillernde Iris ansprach, vielleicht sogar an dem Abend, als der unglückliche Metzger Hehe seinen Zusammenbruch hatte und den Satz mit dem Geschlechtsverkehr und dem Jüngsten Gericht, ich meine, mit dem echten großen Tod, sagte. Ich weiß bis heute nicht, was in mich gefahren war, so fahrlässig zu antworten und dann ausgerechnet dieser reizenden, aber, wenn Herr Hans ihr nicht über den Schnabel fährt, boshaften Frau.
    Jetzt natürlich ließe sie sich das von Hans nicht mehr bieten. Alles ändert sich eben, nur der Tristanweg ist treu.
    Sie war mit dem jungen Boris, dessen blutrote, wahrscheinlich zerbissene Lippen mir gleich auffielen, von einer Ausstellungseröffnung gekommen und hatte, wie sie schon an der Tür verkündete, viel Sekt getrunken. »Natürlich«, rief sie, »verstehe ich diesen komischen Scheffer nicht. Aber es reizt mich, ihn immer wieder anders mißzuverstehen. Das ist ja das Schöne!« Dann kam sie ein bißchen schwankend in meine Ecke. Sabine war gerade mit Magdalena Zock in der Küche beschäftigt. »Frau Wäns«, sagte sie, »warum kuckt Ihre Tochter bloß immer so freudlos aus der Wäsche? Immer und ewig diese unfrohe Miene, warum?«
    Freudlos? Unfroh? Ich wurde auf einmal derart zornig, daß ich der fahrigen Libelle die Wahrheit, über die wir, Sabine und ich, doch sonst nie zu anderen sprechen, horizontal ins Gesicht flüsterte: »Der Grund dafür ist einfach und zehn Jahre alt, Frau Steinert. Sabines schöner Sohn, mein einziger Enkel, hat sich mit fünfzehn Jahren aus Liebeskummer vor den Zug geworfen. Sie wollen es genauer wissen? Er hat sich den Kopf abfahren lassen.«
    Ich begreife nicht, warum mir dabei nicht die Tränen gekommen sind. Und wenn meine Erbitterung nur daher rührte, daß ich ihre Entgleisung als Verrat an Herrn Scheffers Gesetzen empfand?
    Die leichtsinnige Person hörte vor Schreck für wenigstens zwei Sekunden auf zu schielen. Dann ist sie, tadellos nüchtern, zu Bäder gegangen, wahrscheinlich, um die Neuigkeit gleich weiterzutragen. Ich hätte das nicht ausplaudern, hätte das Sabine niemals antun dürfen. Auch mir nicht, und noch immer beschämt es mich. Aber jetzt kommt mir der Gedanke, daß Mirko, dieser verlorene Junge, durch seinen schrecklichen Tod die treulose Italienerin für ihr ganzes Leben bestrafen und den Söldner an Grausamkeit übertrumpfen wollte. Lebenslang gestraft hat er in Wirklichkeit seine Mutter und seine Großmutter.
    Mirko würde im Alter gut zu Anada passen, 25 Jahre, 22 Jahre. Etwas ist verrückt: Seine Ur-Urgroßmutter, Anna Hornberg, die damals berühmte Opernsängerin, eine Altistin, lernte bei einem Gastspiel in Amerika auch eine Indianerin kennen, Susanne McDaniel! Sie war mit einem Weißen verheiratet. Großmutter Anna hat deren Talent als Sängerin entdeckt und die Ausbildung übernommen. Jawohl, am Konservatorium in Dresden! Sabines Urgroßmutter, meine Großmutter!
    Anna Hornberg ist die Legende unserer Familie. Ihr Vater war der Geheime Medizinalrat Prof. Dr. Oskar Fischer und Anna das älteste von sechzehn Kindern. Ihre beste Freundin, Hedwig Prescher, wurde der erste weibliche Schneidermeister in Deutschland. Noch immer weiß ich, daß sie sich 1908 mit dem Bataillonschirurgen Hornberg verlobt hat, der gerade vom Kaisermanöver im Elsaß kam. Sechs Jahre später erlebte er dann den Ernstfall und hatte rund um die Uhr mit dem blutigen Ab- und Aufschneiden zu tun. Was hätte der Schlachter Hehe gestaunt! Dieser spätere Großvater stellte seine Frau auch dem neuen türkischen Gesandten in Berlin vor, Nizami-Pascha, und dem neuen chinesischen Gesandten Nin-Tschang, dem sein Kaiser die hohe Auszeichnung der »Gelben Jacke« verliehen hat. Sie ist uns aus der Operette »Das Land des Lächelns« geläufig, von Léhar. Auch den blendend aussehenden französischen Botschafter Constanslernte sie kennen, der aus Konstantinopel abberufen

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