Gewäsch und Gewimmel - Roman
ihre Handtasche sehr behutsam an die Schuhe von Hans. Nun mußte er auf sie warten und stand regungslos wie ein Zinnsoldat, damit die ihm anvertrauteTasche nicht umfiele. Seitdem weiß ich was von den beiden, so unwahrscheinlich es sein mag. Denn sieht Hans nicht trotz allem noch immer so aus, daß ich zu zittern anfange, wenn er mich, wohl zufällig, berührt?
Als uns damals bei der Picknickwanderung ein großer gefleckter Hund entgegenlief, kicherte Bäder trotz der verschmutzten Hosen. Er behauptete, dieser selbe Hund sei ihm hier einmal mit Hans zusammen begegnet, aber auf einem schnurgeraden Weg, bei dem einzigen Spaziergang, den er je mit Hans gemacht habe. An dem Paar dahinten sei das Tier leicht zu erkennen. Die Art, wie Hans stehengeblieben sei und mit schief gelegtem Kopf gegrüßt und zu flüstern begonnen habe, sei ein schlechtes Zeichen gewesen. Ein uns allen wohlbekanntes, verhaltenes Grollen seiner Stimme: Im Schutzgebiet sei das Freilaufen des guten Freundes Hund aus bestimmten Gründen nicht erlaubt, genauer, verboten. Man könne es überall auf den Schildern lesen. Ob es so schwierig sei, die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme zu begreifen? Ob sie glaubten, das geschehe aus Jux und Dollerei oder gar Schikane? Ein Spleen von Idioten und Hundeverächtern?
Der getadelte Mann habe nicht Scheffer, sondern nur die den Tränen nahe Frau an seiner Seite angesehen, die, sobald Hans fertig gewesen sei, mit einer geschmeidigen Gestikulation vor den überaus aufmerksamen Augen des Mannes begonnen habe. Kein Wort sei gefallen. Hans habe bloß, mit Verlaub, geglotzt. Wollte man ihn zum Narren halten? Auch seien die Blicke der beiden dann in bekümmerter Hilflosigkeit zu Hans, an dessen Knie der gewaltige Hund längst zärtlich den Kopf gerieben habe, hinübergewandert. Erst dann habe er begriffen. Nun sei er es gewesen, der beschämt das große Haupt senken mußte. Gleichzeitig habe er, Bäder, ihm die Empörung angesehen über die Zumutung, daß ihm, dem legalen Hüter der Region, die beiden mit ihrer kränkenden, ihn ins Unrecht setzenden Taubstummensprache gekommen seien. »Trotzdem«, habe Scheffer gesagt,»das nächste Mal anleinen!« Das habe aber viel eher nach einer Entschuldigung als nach einem Befehl geklungen. Und noch im Weiterstapfen habe er wahrhaftig immer wieder »Trotzdem!« »Und trotzdem!« zwischen Reue über seine Worte und Wut über die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren sei, vor sich hingemurmelt. In seiner Verwirrung sei er nicht mal auf die Idee gekommen, diese offensichtlich ja nicht blinden Menschen auf die selbst für Analphabeten eine klare Sprache sprechende Verbotsund Erinnerungstafel direkt neben ihnen am Wegesrand hinzuweisen.
Der Kampf unseres Herrn Hans gegen die rücksichtslosen Hundebesitzer war erbittert. Scharfe Jagdhunde, auch Tiere, die nicht den Kommandos ihrer Eigentümer folgten, wurden gelegentlich ohne Leine in die ehrgeizigen Schutz- und Brutgefilde entlassen und vernichteten seine geduldige Ansiedlungsarbeit seltener Fauna. Auch jetzt war der Hund in Widersetzlichkeit gegenüber Hans, der sich damals offenbar in seiner amtlichen Autorität dem Paar gar nicht erst vorgestellt hatte, nicht angeleint. Sabine machte der Frau mit zornigen Bewegungen klar, was sie zu tun habe. Handelte sie für die Tiere oder für Hans? Über uns schrien Raubvögel. Zwischen den Stämmen bewegten sich, noch bleicher als die Birken, in den schwarzen Zwischenräumen ein schneeweißes Pferd und eine Reiterin: eine Erscheinung, nur ich entdeckte sie wohl, die sich im Hinsehen sogleich auflöste. »›Trotzdem‹! Dieses köstliche ›Trotzdem‹!« wiederholte Bäder mit seinem hohen Gackern, ich fand, ein bißchen zu selbstgefällig in seiner altklugen Jugend.
Plötzlich, schon beim Weitergehen, drehte sich der taubstumme Mann um und rief: »Der Hund geht Sie einen Dreck an!« Bäder stand der ein wenig schnullerartige Mund offen, er wirkte richtig schwachsinnig in diesem Moment. Unglaublich! Die beiden hatten sich damals also doch über sie beide, vor allem über Hans, lustig gemacht!
Aber keiner, kein einziger bemerkte, wie von einem Atemzug zum nächsten die Landschaft vom fahlen Gold zum schäumenden Grün übergewechselt war. Wie sollten sie das auch! Sie kannten sie ja nicht vom Winterhalbjahr her und ahnten nicht, wie ich es weiß, ich, die jetzt mit ihrem Strohhut, aushilfsweise mit ihrem kleinen Herrn Strohhut redet, daß hier manchmal die Unvergänglichkeit herrscht, für
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