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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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anzündet. Das erkenne ich doch auf Anhieb. Es liegt auf der Hand. Und meine trübsinnige Sabine selbst? Sie rennt in die Kirche, wenn es sie treibt, bloß weil sie eine Anbetung, ein Tabernakel braucht. Gibt es einen, der weltlich dafür geeignet ist? Ja!
    Mir fällt gerade jetzt aber ein, daß Hans vor nicht allzu langer Zeit, vor einigen Monaten noch, in der Garderobe zu Jeanette einen Satz mit den Worten begann: »Ihr Ihnen anvertrauterMann …« Sie kam dann schnell allein ins Zimmer zurück und war ganz elend im Gesicht.
    Es folgte doch auch, ja richtig, an diesem Nachmittag, als wir, so gut es ging, vor Magdalenas Speisen saßen, noch eine weitere kleine Szene mit Jeanette. Boris Bäder wies nämlich plötzlich auf ihren etwas ungeschickt freigelegten, hochgestemmten Innenschenkel. Er zeigte auf eine Reihe unterschiedlich langer Laufmaschen, die deshalb besonders auffielen, weil ihre Strümpfe schwarz waren. »New York!« schrie Bäder, »Die Wolkenkratzer, kuckt mal, die Türme, die Skyline von New York!« Herzer sah das Bürschchen zusammen mit seiner Frau böse an. Hätte er in Wirklichkeit nicht viel lieber schadenfroh wie wir anderen alle gelacht?
    Der Kuckuck rief. Einige hatten ihn seit Jahren nicht mehr gehört. Nun wurde ein bißchen mitgezählt. Zock wollte darin eine Prognose für seine Geldgeschäfte sehen, Herzer für seine zu erwartenden Lebensjahre, die Galeristin künftige Liebhaber. Das waren keine Überraschungen. Hehe aber zählte bis zum Schluß, bis der Vogel verstummte, beinahe ängstlich konzentriert, sagte allerdings keine Silbe.
    Wir tranken gekühlten Prosecco, hoben, an verbotener Stelle lagernd, die Gläser auf das Wohl von Hans, und es begann ein Spiel, bei dem jeder von einer unsinnigen, unbegründeten Angst erzählen sollte. Wer würde uns am meisten überzeugen? Magdalena berichtete von ihrem Pullover nach einer zu langen Autofahrt in ein abgelegenes Alpental. Es war ihr eigener gewesen, den sie, steif und fest und hilflos vor Entsetzen, für einen in der Ecke ihres Zimmers schlafenden Rottweiler gehalten habe.
    Boris Bäder fürchtete sich als kleiner Junge davor, er würde eines Tages eine Alkoholikerin zur Frau kriegen. Vermutlich stellte er sich vor, er müsse das Wort heiraten, das ihm unsympathisch war: Al-ko-ho-li-ke-rin. Ja, ich glaube, so äußerten siesich. Vielleicht verwechsle ich aber die Angst des einen mit der des anderen?
    Finnland erzählte, er habe einmal in der Schlange eines Supermarkts gestanden mit einem Korb, der gefüllt gewesen sei mit lauter Sachen für einen Herrenabend, Getränken und Chips. Im Näherrücken auf die Kassiererin zu habe er ihr Gesicht studieren können, wie sie angeekelt die Sachen weitergeschoben habe, fast so, als müßte sie sich gleich erbrechen. Ihre Haut sei immer gelber geworden angesichts der vielen Eßsachen, die die Leute alle so wichtig nahmen und die ihr längst zum Hals raushingen, ja, das sagte er: zum Hals raushingen! Da sei in ihm eine Bedrängnis entstanden, eine Angst, gerade über seinem Sekt und seinen Crackern, die er eben noch so gutgelaunt ausgewählt hatte, würde sie gleich ihren Magen entleeren. »Entschuldigung«, sagte er anschließend erschrocken, als sein Blick auf die Decke mit Magdalenas Pasteten fiel.
    »Was glaubt ihr, wer von uns hat sich wohl vor dem Ausflug ins Grüne mit Antizeckenmittel eingerieben?« schrie die Galeristin zum Zeitvertreib. Alle wiesen auf den jungen Boris und Finnland, der noch verlegener wurde. Dem Metzger rutschte beim Ausstrecken des Arms das Hemd ein Stück hoch, und ich sah, als wäre es ein Auge, das uns bedrohlich anstarrte, einen großen lila Fleck auf seiner Haut. »Ist bloß von einer Infusion«, sagte er leise, damit nur ich es hörte. Als er den Bluterguß schnell zudeckte, wurde an seinem anderen Arm ein noch größerer sichtbar. »Nur von der Blutentnahme«, flüsterte er.
    Da rief eine Stimme in mir, der ich kein bißchen erlaubte, meinem Mund zu entwischen: Ihr Idioten, wir Idioten! Um uns toben gewaltige Mächte, Gier, Stolz, Leben, Tod, entsetzliche Leiden, riesenhaftes Glück. Und hören wir zu? Nicht im geringsten! Wir stümpern vor uns hin. Schnell widerrief eine zweite Stimme: Liebe Menschen! Reizende Gesellschaft!
    Aber hat nicht Herr Hans erst vor wenigen Tagen, als ich michaus der Erinnerung genauso gutherzig äußerte, streng gesagt: »Warum loben Sie diese entschwundenen Leute? Sie, Frau Wäns, wollen sie sich doch nicht nachträglich auf diese billige

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