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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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bin ich es gewesen, die ihm die schreckliche leere Stelle zeigte, dort, wo früher ein Wäldchen stand. Das alte kleine Waldleben war gerodet und über Nacht zu einem baumlosen Platz geworden. Ratzekahl wie eine Ladentheke. Nicht mal ein Unkraut mit einem winzigen Käfer am Stengel hatte sich retten können. Die Grube in der Mitte der Ödnis stand voller Baumaschinen. Hatte ich ihm nicht, als ich ihn noch auf dem Schoß halten konnte, versprochen, das Wäldchen später für ihn zu kaufen? Zum Spaß! Zum Spaß! Aber er achtete so tiefernst auf jedes Wort von mir. Wie oft schlich sich das Kind aus dem Haus in sein Versteck und zukünftiges Eigentum! Als er nun sah, daß man ihm alles ausradiert hatte, sagte er keinen Ton. Und er war doch in dem Alter, in dem man für einige Jahre vor lauter Jugend ziemlich geisteskrank ist.
    Kein Tropfen Blut war in seinem Gesicht. Ich habe das nie bedacht: Sabines verhängnisvollen Satz, den ich am Abend desselben Tages, dem Abend vor seiner letzten Verzweiflung, im Treppenhaus zufällig mitbekam, hat er vielleicht auf das ausgemerzte Wäldchen bezogen. Warum mußte ich ihm in seinem großen Schmerz auch noch diesen zufügen? Oder hat der armeJunge vor lauter Liebe und Liebesschmerz gar nicht zugehört, hat gar nichts gesehen von der Vernichtung? Hoffentlich. Ich muß es hoffen um meiner Seelenruhe willen.
    Mir ist ganz schwindlig geworden vor Schrecken.
    Ich habe mich deshalb etwas auf der Bank ausgestreckt und den Kopf auf den Rucksack gebettet. Plötzlich steht Holterhoff vor mir. Er sieht mich besorgt an, als wäre es in meinem Alter unschicklich, auf einer Bank zu liegen, denn ich bin ja weder eine Alexia noch eine Cassandra. Da packt es mich, und ich sage. »Herr Holterhoff, ich will Ihnen mal was zeigen. Das wird sie überraschen, nämlich einen Schatz!« Ich öffne den Rucksack, um alles vorzuführen, Geld und Schmuckstücke, die ich, in seinem Inneren versteckt, wegen meiner eigenen Freiheit hier manchmal extra leichtsinnig durch die Gegend befördere.
    Aber was für eine Entgeisterung!
    Holterhoff denkt, ich hielte ihn zum Narren und lacht recht gemütlich. Ich kann nicht mitlachen, nicht mal zur klugen Tarnung: Der Schatz hat sich in Obst verwandelt! Meine Tochter, meine eigene Tochter muß gestern, ohne ein Wort darüber zu verlieren, meine Reichtümer herausgenommen haben. Das geschah sicher zu meinem Schutz. Aber was für eine böse Zauberei! Sie hat, damit ich es beim Tragen nicht gleich am Gewicht merke, als Ersatz ein paar Äpfel reingepackt. Holterhoff wünscht mir zum Abschied einen »Schönen Abend«. Das sagt er so ins Blaue hinein. Was stellt er sich, genaugenommen, darunter vor?
    Wenn man bedenkt, wie viele Verbrechen und Scheußlichkeiten an den Tieren im Namen der Verlängerung des Menschenlebens begangen werden und wie dann das menschliche Alter in Wahrheit verachtet wird! Es ist doch eine große Heuchelei.
    Nie wieder werde ich mich hier, in diesem grünen und goldenen Beben, auf einer Bank mit geschlossenen Augen ausstrecken. Schon zweimal gab es ein schlimmes Erwachen. Das sollmir nicht ein drittes Mal passieren. Dabei gehen mir die drei Wörter, ohne daß ich mir irgendwas dabei denke, kein Bild, kein Ereignis, nur die Silben wie zum Trost, wie ein heilendes Abrakadabra, im Kopf herum: Jäger, Metzger, Mädchen, ganz von selbst, ein sinnloses Gemurmel.
9. Wanderung
    Ich werde in den nächsten Tagen aus bestimmten Gründen möglichst viele Stunden von zu Hause wegbleiben. Gestern abend erst begleitete Sabine Herrn Hans durch den Vorgarten zur Straße. Plötzlich drückte sie ihm schnell die Hand und lief, als hätte sie einen Hilferuf aus dem Haus gehört, womöglich von mir, zurück. Hans stand noch eine Weile ganz perplex da, so, wie es nur Männer fertigbringen. Und ich? Ich sah vom oberen Treppengeländer aus, wo auch das Fensterchen zur Straße ist, daß Sabine ihn, ohne sich zu rühren, durch den Haustürspalt beobachtete. Es ist, ich ahne es schon eine Weile, etwas Neckisches im Gange im Tristanweg, und mir, mir könnte nicht wohler als hier draußen sein, ob ich mein Strohhütchen auf dem Kopf trage oder in der Hand halte.
    Manchmal stecke ich mir ein Büschel Weißdornblüten unter das Band, nur so für mich. Alle Wegränder außerhalb der Schutzzone riechen jetzt danach. Was hätte wohl Anna Hornberg dazu gesagt? Vielleicht wäre ihr eine romantische Arie eingefallen, so sind die Künstler. In ein paar Wochen nehme ich Holunder oder Heckenrosen.

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