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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Libelle. Noch nie hatte ich die allzeit spöttische Person so hingerissen gesehen. Daß sie Anada mit den Kulturschätzen in Spielkartengröße eigentlich ducken wollte, war in den Hintergrund gedrängt angesichts der Glut der Bilder, trotz der lächerlichen Verkleinerungen. Die Blumenarrangements steigerten, bekriegten, übertrumpften einander. Anada betrachtete den Kartenteppich. Für sie war es eine Sammlung von Briefmarken aus aller Welt. Kurzfristig lag etwas in der Luft, von dem sie nichts wissen, nach dem sie nicht einfach greifen konnte. Aber dann schrie Magdalena in höchster Not: »Mein Soufflé!«
    Die Libelle ließ ihr Bilderreich in Windeseile zusammenschnurren und überreichte den Stapel Anada mit einem Hinweis auf die beigefügten Spielregeln. Das Mädchen neigte wortlos zweimal rituell den Kopf. Sein Lächeln sagte nichts über seine Gedanken. Iris fand wieder zu ihrer Normalverfassung, zunächst nur dem irisierenden Gesichtsausdruck nach.
    Es war ein merkwürdiger Kontrast, daß, kaum war durch Abräumen des Desserts etwas Platz geschaffen, ganz andere Karten auf dem Tisch lagen. Anada hatte sie aus ihrem Gepäck geholt und das aus Amerika mitgebrachte Spiel zum Gegengeschenk für Iris deklariert. Ich dachte: Jetzt schlägt sie ruckzuck zurück, weil sie als instinktsicheres Naturwesen die Spende von Iris nicht auf sich sitzenlassen will. Finnland hätte das Spiel, als er sah, worum es ging, wohl am liebsten gleich eingesteckt. Auch hier gab es Farben, rot, grün, lila, aber jeweils nur eine pro Karte, auch immer nur eine Figurensorte, alles schematisch, Salmiakpastillen, Kartoffelchips, Wellen, alle von eins bis drei, entwederkompakt ausgefüllt, nur im Umriß vorhanden oder schraffiert. So schnell wie möglich mußte man versuchen, bei zwölf aufgelegten Karten drei zu finden, die in Form, Farbe und Füllung entweder völlig gleich oder völlig verschieden waren. Ich wurde ganz verrückt davon, aber die Männer vertieften sich von Anfang an leidenschaftlich finster in den Wettkampf. Sie fuchtelten mit den Zeigefingern verbissen zwischen den Symbolen herum. Jedesmal verzog Anada ein klein wenig den Mund und wies ihnen durch schweigendes, blitzschnelles Auftippen nach, daß sie in ihrer ehrgeizigen Voreiligkeit das eine Merkmal verwechselt hatten und das zutreffende übersahen. Dabei legte die Kleine graziös den Kopf schief, wie verzeihend, auch leise feixend. Sie hatte schon vorher gewußt, daß ein gewaltiges Geschrei und eifersüchtiges Wüten am Tisch entstehen würde. Jeder wollte voll Ingrimm der Schnellste sein. Es wurde nicht friedlicher, als die ersten Erfolge eintraten. Was sie wohl angesichts dieser viel älteren, wegen eines gezeichneten Kartoffelchips erregten Erwachsenen überlegen mochte, die sie in diesem Augenblick so leichthändig beherrschte?
    Finnland und Bäder lernten am raschesten. Hans schnitt Grimassen. Es handelte sich um ein neues, ihm noch fremdes Terrain, da zog er es vor – der Wachhund Bäder registrierte es unstatthaft grinsend –, sich nicht in Konkurrenz zu begeben. Trotzdem gefiel ihm, wie seine Indianerin aus der Stille heraus so plötzlich für Turbulenz sorgte und mit ihren biegsamen Fingern das Spiel dirigierte. Er wetteiferte also nicht mit den anderen, bewunderte lieber Anada, so wie Iris sich aus anderen Gründen entzog, das Mädchen mißtrauisch observierte und zwischendurch ihre roten Schuhe mit der Serviette putzte. Kaum sagte Hans: »Nun reicht’s«, da holte Anada, geschickt wie vorher Iris, die Karten zusammen, stapelte sie und übergab sie der Galeristin, die, genau besehen, mit den Schultern zuckte, ein »Danke« in Anführungsstrichen ausstieß und Finnland halbdiskret ein Zeichen machte, daß sie das alberne Spiel noch vor Mitternacht an ihn weiterreichen würde.
    Er konnte zufrieden sein, unser Herr Hans, und doch hat er, hier zum ersten Mal, und nur während des Aufruhrs am Tisch, auf mich verlassen gewirkt, ein verwaister Mann inmitten seiner treuen Anhänger. Wie verführerisch schön es ihn machte, wie gut ihm diese kurzfristige Einsamkeit stand! »Frau Wäns, seit Anada weg ist«, sagte er im letzten Herbst, leider ein bißchen gebeugter als früher ausschreitend, zu mir, »kann ich nichts mehr lange ansehen, ohne daß es sich auflöst, einfach verflüchtigt. Früher sah ich nicht gern länger auf eine Stelle, weil alles so bald durchsichtig wurde. Jetzt zersetzt es sich, entschwindet. Das ist was anderes, Frau Wäns.«
    Danach hat er

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