Gewäsch und Gewimmel - Roman
manchmal frage auch sie sich, Ruth, wie die geheimnisvollen erotischen Ströme verliefen zwischen den Paaren und Einzelfiguren, von einem zur anderen, wie es sich beispielsweise erkläre, daß Feodora, diese mürrisch blickende, glanzlose Gestalt, bestimmte Männer für sich begeistere. Ob die ein verborgen in ihr lauerndes Feuer witterten? Und, Moment, damit sie es nicht vergesse: Das Paar Meyer-Weber! Ein Mann und eine Frau, die bestimmt nur unter größten Kompromissen einigermaßen miteinander auskämen und sich, bei ihnen eine Frage der Höflichkeit, des Stils, der Öffentlichkeit nur dann gemeinsam zeigten, wenn sie es mit Grazie und Eleganz schafften. Vielleicht sei es aber eher noch eine Frage der Vorsicht, damit die Welt nicht zerstörerisch in das poröse Gestein ihrer Ehe eindringen könne. Keine Schwächen bieten! Ein feiner Riß sei da eine gefährliche Lebensmarkierung, wie der erste Besuch des Notarztes in der Nacht. Natürlich nur dann, wenn man es selbst so interpretiere.
»Wir aber freuen uns unseres Leben, und es geht uns passabel!« sagen beide, aufstampfend vor Entschiedenheit.
Es sei ja so, meine sie, Herta, daß man sich zwar immer wieder vornehme, nichts Schlechtes über andere zu reden. Nur: Was denn dann noch übrigbleibe, über das man angeregt sprechen könne? Solle man statt dessen singen oder vorlesen? In Schweigen verdummen? Die Leute loben, das Gute herausstellen? Ihr, Herta, komme das nach kurzer Zeit immer wie eine Heuchelei, eine Beschönigung, ja, wie eine Verdämlichung, nicht Verbesserung der Welt vor. Aber etwas ganz schnell zwischendurch und nur, ihr, Ruth, gestanden: Nach furchtbar vielen Jahren habe sie zufällig einen Mann wiedergesehen, er sei angekündigt worden, als sie in einem Wohnzimmer saß. Sie habe ihn mit zwanzig schrecklich geliebt, und jetzt, als weiß Gott doch nun höchst erwachsene Frau, sei sie erst einmal durch eine zweite Tür ins Bad ausgerissen, um nicht rot zu werden! Als dieser erste Augenblick vorbei gewesen sei, habe sie das Treffen ganz normal und zivilisiertabsolvieren können. Schade fast! Übrigens habe die Begegnung bei einer Familie stattgefunden, die ebenfalls erwähnenswert sei. Mutter und beide Töchter mit fahler Haut und strengen Eßgewohnheiten, schlank natürlich, in dezentesten Farben. Alles minimalistisch. Nur der Mann traue sich, ein bißchen Genießer zu sein, blühend, rundlich, warm, der einzige, der sich seines Lebens rotwangig freue, auch eine rote Hose besitze.
Sie, Ruth, wolle nun von einer Frau sprechen, die ein vagabundierendes, großzügiges, auch egoistisches Leben geführt habe und, mittlerweile dick, depressiv, das Schicksal zu beherrschen versuche. Ihr Gang sei schwerfällig geworden, sie kleide sich aber noch immer geschmackvoll und strahle die Welt an, mit medikamentöser Nachhilfe. Sie habe viele Bekannte, aber keinen Liebhaber mehr. Vor einigen Monaten habe sie einen aristokratischen Trinker kennengelernt, dessen Kinder in Brasilien, Hongkong, Barcelona lebten, für ihn aber wie gar nicht vorhanden seien. Dagegen trauere er noch immer um seine tote Frau. Ein Freund der Kunst und Literatur, der nur Tütensuppe und Fleischklöße von Lidl äße, dabei in seiner riesigen Wohnung sitze oder in Kneipen. Dort nenne man ihn wegen einer Zitterkrankheit »Wackelkopf«. Der einsame Mann ertrage die kränkende Derbheit, weil er die Atmosphäre liebe. Diese beiden Menschen begännen nun, einander schrittweise tief zu mögen, mit Geduld, ohne erotische Ziele zunächst. Aber wer weiß, was noch kommen könne. Was die Frau am meisten amüsiere, denn sie besitze den rettenden Sinn für Komik: Der seltsame Mann habe noch einen Zwillingsbruder, ein Streich des Schicksals sei das, skurrile Einzelgänger in Verdoppelung. Die Mutter von ihnen sei über neunzig, und in deren Gegenwart buhlten die Zwillinge, offenbar wie eh und je eifersüchtig, um die Gunst der Greisin! Überhaupt zeige sich ja immer wieder, mach was du willst, daß man die Dinge so oder so betrachten könne. Man sehe das schön am Hornklee. In manchen Gegenden nenne man ihn »Hennentatze«in anderen »Herrgottszehe«! Sie, Ruth, kenne einen ehemaligen Arzt, der durch Scheidung verarmt, dem Alkohol verfallen sei. Der lebe nun in einer eigenartigen Zeitverschiebung. Bei der »Tafel« bekomme er das Essen vom Vortag oder nach Verfallsdatum, Kalender kaufe er, wenn sie wegen des neuen Jahres verbilligt würden, einen Tannenbaum hole er Neujahr vom Straßenrand und
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