Gewäsch und Gewimmel - Roman
war, wieder zu lächeln: »Ich habe eine merkwürdige Entdeckung gemacht, Herta. Es bereitet mir jetzt große Schwierigkeiten, mir Gesichter zu merken. Das ist ganz anders, wenn ich ein Foto von ihnen sehe. Das Zweidimensionale prägt sich mir viel besser ein. Danach ist das Wiedererkennen in der Wirklichkeit leicht. Herta, woran liegt das wohl? Es kommt mir so vor, als würde das leibhaftige Gesicht durch das Foto einen Ruf- und Hausnamen kriegen.«
»Eventuell auch einen Spitznamen«, bestätigte Herta, die das Spülen übernommen und dafür extra ihre Gummihandschuhe mitgenommen hatte.
Ob sie, Ruth, die Filmschauspielerin Cate Blanchett kenne? Die habe gesagt, mit dem Staubsaugen halte sie ihre Seele zusammen, mit diesem Bild, wie der Dreck in die Maschine gesogen werde. Auch ihr, Herta, werde beim Lesen in älteren Büchern oder neueren Kriminalromanen ganz warm ums Herz, wenn sich dort jemand eine saubere Schürze umbinde, den Blumen frisches Wasser gebe, ein Zimmer aufräume oder dusche. Es habe eine unfehlbare Wirkung aufs Gemüt. Erst recht natürlich, wenn sie selbst bei sich Ordnung schaffe. Das alles seien gute Mittel für den Generalhausputz der Seele, falls es um das Bild und nicht um einen Ersatz gehe. Sie, Ruth, halte sich mehr an das Studieren von Paaren, zumal sie selbst ja schon länger ohne Partner lebe.
Rolf Zenker zum Beispiel sei völlig ohne Ironie, er empfinde sie geradezu als Verrat. Seine Frau Ute aber sei in einer Familienironie aufgewachsen und von klein auf dran gewöhnt. Ihm ziehe Ironie den Boden unter den Füßen weg, sie ersticke an dem Dauerernst. Sie hätten sich einander angeglichen, um glücklich zu sein. Aber zweimal habe es in Gesellschaft für sie ein Erkennen und Erschrecken gegeben. Als nämlich Ute ganz wunderbar aufgeblüht sei unter den Ironischen, Rolf unter den Einfältigen. Sie, Ruth, hege seitdem den Verdacht, daß zwischen diesem Ehepaar, genausogut möglich wie ihr offensichtliches Glück, ein unversöhnlicher, unpersönlicher Haß jederzeit ausbrechen könne.
Da könne sie, Herta, auch was beisteuern. Ihre Tochter, die gerade wegen eines Castings beim Fernsehen kahlgeschoren sei und wegen der Kälte auch im Zimmer mit einer Mütze rumlaufe, habe es von der anderen Großmutter, seitens ihres, Hertas, Exmannes erzählt. Die sei immer so perplex gewesen, wie Freunde von ihr im hohen Alter nach langem bürgerlichem Eheleben statt friedlich nebeneinander auf dem Sofa zu sitzen, täglich aufeinandereingedroschen hätten. Aber dann sei dieser Großmutter, weil sie, wie öfter in letzter Zeit, ein Wort nicht parat hatte, in der Nervosität selbst die Hand gegenüber ihrem Ehemann ausgerutscht. Sie habe danach furchtbar geweint aus Angst vor der eigenen Zukunft. Sie, Herta, habe vor circa einem Jahr bei einer alten Frau erlebt, daß sie beim Dessert die Spritzdose mit der Sahne versehentlich aufs Gesicht eines Gastes richtete und herzlich über den mehrfach peinlichen Schaden lachte, verantwortungslos wie ein kleines Kind. Gut, nichts Besonderes. Aber genau dasselbe habe sie acht Jahre vorher mit ihrer eigenen Mutter erlebt, genau diesen Unfall mit der Sahnespritzdose, auch das Lachen über den bekleckerten Gast! Und beide Frauen habe sie danach nicht mehr lebend wiedergesehen.
»Aber uns geht es gut, wir freuen uns unseres Lebens!« ruft da Ruth und schwenkt kämpferisch das Trockentuch. »Wir freuen uns unseres Lebens«, stimmt Herta zu.
Köstlich, ein reines Vergnügen nämlich ein anders Paar! Petra sei eine mittelalterliche Idealfrau, die sticke und musiziere, gärtnere, Gutes tue. Und ihr Mann Tim, der sei der Burgherr, der wehrhaft das Haus gegen alle Wechselfälle sichere, Vorräte anhäufe, Wetterstationen anbringe und Warnsysteme. Alles wie in einer alten Ritterlegende, aber heutzutage! Eine Sehenswürdigkeit, das könne sie, Herta, versichern. Und gleich noch ein weiteres Pärchen hinterher zu ihrer, Ruths, Freude hoffentlich! Wie wohl diese beiden, Manuel und Ilona, zusammengekommen seien? Er ein gesprächiger Mann von mächtigster Körperfülle und strudelndster Lebenslust, sie eine kleine stumme Person, immer im selben Pullover, eine wortkarge Himbeere, die am Busch langsam eintrockne, da niemand sie ernten wolle. Nur manchmal breche ein kindlicher Aufschrei aus dem ältlichen Mund. Offenbar liebe oder wenigstens lobe Manuel sie gerade wegen dieses Wichtelhaften. Das behalte sie, danach verfahre sie. Ob in Wahrheit sexuelle Dämonie dahinterstecke?
Ja,
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