Gewagt - Gewonnen
einer hohen Gestalt zu, deren weiße Jacke im nächtlichen Dunkel leuchtete.-
Sie waren schon eine gute Weile unterwegs, als Astrid mit einer leisen, spröden Stimme zaghaft bemerkte: „Es war eine sehr schöne Gesellschaft…“
„Ja“, sagte Per; und damit war das Gespräch erschöpft.
Ein dumpfer, nie gekannter Schmerz überkam Astrid. Alles, was sie an diesem Abend erlebt hatte, von dem Augenblick an, als Per gekommen war, sie abzuholen, bis zu ihrer Verlassenheit in dem halbdunklen Herrenzimmer, wo sie bei Jean Trost gesucht hatte, das alles floß zusammen in einer großen, blassen Müdigkeit, einer wunderlichen, matten, wehen Müdigkeit.
Sie sahen die Lichter der Stadt. Astrid öffnete den Mund, um etwas zu sagen, gab es aber auf. Sie war müde. So hoffnungslos müde.
Sie waren vor Astrids Haus angelangt.
„Gute Nacht, Fräulein Liberg!“
„Gute Nacht, Herr Mostvedt!“
Astrid ging langsam ins Haus. Sie knipste das Licht in ihrem Zimmer an, legte die Silbertasche aus der Hand, zog die silbernen Schuhe aus. Sie vermied jede heftige und schnelle Bewegung. Es war, als habe sie vor etwas Angst.
Sie streifte das Kleid ab, hängte es in den Schrank und betrachtete es einen Augenblick. Es sah merkwürdig verblaßt aus.
Sie sah sich selbst flüchtig im Spiegel. Ihr Gesicht war bleich. Symphonie in Blau – Rhapsody in Blue -
Hinter dem Vorhang brach die bleiche Morgendämmerung an.
Warum… Warum…
Frau Liberg war in Sorge.
Bei ihrer Menschenkenntnis fiel es ihr nicht schwer, die Zusammenhänge zu erkennen.
Daß Astrid – sehr milde ausgedrückt – in ihren Arbeitgeber verliebt war, das hatte sie längst bemerkt. Ihre erwartungsvolle, freudige Stimmung vor dem Gesellschaftsabend bei Harders hatte eine deutliche Sprache gesprochen. Und ihre Wortkargheit und ihr bleiches Gesichtchen nach der Gesellschaft sprachen eine ebenso deutliche Sprache. Zu allem Überfluß hatte Frau Liberg zufällig ein Gespräch belauscht, das zwei Kundinnen eines Tages in ihrem Geschäft miteinander geführt hatten. Die eine Kundin war Frau Grehner gewesen, die einer Freundin von der Gesellschaft bei Harders erzählt hatte.
„Ich sage dir, Gerda sah prachtvoll aus, einfach prachtvoll! Und wie sie sich zu benehmen wußte! Ja, ich habe mir meine Gedanken gemacht. Sie tanzte ja den ganzen Abend mit Tierarzt Mostvedt, sie hatte ihn auch zum Tischherrn. Ja, wenn er diesen Goldvogel erbeuten kann! Ja, er ist ein gutaussehender junger Mensch; und stell dir vor, was es für seine Stellung bedeuten würde, wenn er sich mit der Tochter des Gutsbesitzers Harder verheiratete! Und ein Tierarzt wäre ja für sie mit ihren Kaninchen und wer weiß, was sie sonst da draußen züchtet, gerade das richtige…“
Es schnitt Frau Liberg ins Herz. Nun wußte sie auf einmal, wie der Abend verlaufen war und welche Rolle die kleine Astrid gespielt hatte – ihr Mädel in dem anspruchslosen und doch so allerliebsten Kleide. Ein bleiches Nichts war sie gewesen, wenn man sie mit der strahlenden Gerda in Samt und Diamanten verglich.
O ja! Gerda Harder war für einen strebsamen jungen Mann sicherlich begehrenswerter als die kleine, bescheidene Astrid.
Astrid machte im Sprechzimmer Ordnung, nachdem Per gegangen war. Sie ging still hin und her. Ihr Gesicht war blaß, und sie hatte dunkle Ringe um die Augen. Per war freundlich wie immer zu ihr. Das war es also nicht.
Aber heute war Gerda wieder am Telefon gewesen. Per hatte sehr lange mit ihr gesprochen, als hätte er absolut nichts zu Tun gehabt, und Astrid hatte sein leises, vertrauliches Lachen gehört.
Seine Worte konnte sie durch die Wand hindurch nicht verstehen, aber sie hatte den Eindruck, daß sie irgendeine Verabredung trafen. Am Nachmittag wollte er wieder einen Krankenbesuch machen. Es handelte sich um eine Nerzfarm in der Nähe von Harders Gut. Diesmal hatte er Astrid nicht aufgefordert, ihn zu begleiten.
Astrid fischte die Instrumente aus dem Kocher heraus. Sie verrichtete ihre Arbeit mechanisch. Es war keine Freude mehr damit verbunden. Ein Instrument nach dem andern wurde sorgfältig abgetrocknet und in dem Schrank auf die glänzenden reinen Glasborde gelegt.
Warum hatte Per sie an jenem Abend im Auto geküßt? Warum?
Ihre Gedanken kreisten immer um dasselbe Problem.
Er hatte Astrid und „du“ zu ihr gesagt. Er hatte gesagt, sie sähe wie eine Symphonie in Blau aus. Er hatte sie geküßt.
Und ein paar Stunden später war sie nur noch Luft für ihn gewesen.
Man muß
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